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BA: Brandrede von Bundesanwalt Valentin Roschacher v/o Dalí am 156. Zentralfest des Schweizerischen Studentenvereins (StV) in Appenzell

Bern (ots)

156. Zentralfest des Schweizerischen Studentenvereins (StV) in
Appenzell
Samstag, 24. August 2002
Vernunft und Anstand: 
Anachronismus und Avantgarde
Brandrede von Bundesanwalt Valentin Roschacher v/o Dalí
Hoher CP
hoher Präsident des Altherrenbundes
liebe StVerinnen und StVer
I.
"Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig. Ihr sollt Euch keine 
Flügel anheften. Ihr soll nicht gut sein, sondern vernünftig".
Dieses Zitat von Erich Kästner möchte ich mit Flammenschrift an die 
Wand dieses Innenhofs und uns allen hinter die Ohren schreiben, weil 
damit eigentlich alles gesagt ist, was es aus Sicht der 
Strafverfolgung zur "condition humaine" zu sagen gibt.
"Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig". - Daran ändert der 
StV nichts, daran ändert der Bundesanwalt nichts, daran ändert eine 
akademische Ausbildung nichts und selbst der gescheiteste Glünggi 
ist nichts anderes als ein Glünggi. Halt einfach ein gescheiter. 
Selbst wenn "rastlos forscht der Geist und prüft und denkt". Denn 
Glünggi bleibt Glünggi. Oder wie Voltaire zu sagen beliebte: 
"canaille reste canaille".
"Ihr sollt Euch keine Flügel anheften". - Und auch keinen 
Heiligenschein, denn schwarzer Anzug mit Mütze und Couleurband 
schaffen trotz mutig-starkem Ringen nach der "Tugend hohem Ziel" 
noch lange keine moralische Ueberlegenheit, ebensowenig wie wie 
Mitgliedschaft bei der CVP oder das Bekenntnis zur katholischen 
Tradition, wie ach so manche Figura zeigt.
"Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig". - Viel stärker als 
eine vergilbte Moral gewichtet die Vernunft. Die Vernunft droht in 
der heutigen Zeit ziemlich aus der Mode zu geraten, mehr noch als 
der StV mit seinen nach aussen seltsam anmutenden Gebräuchen, von 
Schmid v/o Carlo vor Jahresfrist am Zentralfest in Brig als 
"anachronistische Werte aus einer anderen Welt" apostrophiert. Es 
ist Zeit, dass die Vernunft wieder in Mode kommt. Ein mögliches 
Motto wäre: Mit aufklärerischer Vernunft "back to the future". Der 
StV könnte hier die Avantgarde bilden - Avantgarde statt 
Anachronismus. Dann käme der StV auch nach Abschaffung des 
Bistumsartikels unversehens wieder in Mode. Auch ohne angeheftete 
Flügel oder angepappten Heiligenschein.
II.
Dass nach Ständerat und Landammann Schmid v/o Carlo, dem ersten 
Lastwagenfahrer der Nation, die Brandrede dieses Jahr dem 
Bundesanwalt als erstem Strafverfolger des Bundes überlassen wird, 
werte ich als Aufforderung, es möge sich heuer die Strafverfolgung 
mit dem StV befassen. Dieser hehren Pflicht werde ich gerne 
nachkommen. Ich habe also meinen in Ermittlung und Anklage 
geschulten Scharfblick über den StV, seine Geschichte und seine 
Gebräuche schweifen lassen und bemühe mich, unvoreingenommen klaren 
Wein bzw. ungepanschtes Bier über meine Erkenntnisse einzuschenken.
III.
Erste Erkenntnis: Es gibt in den StV-Reihen verdachtsbegründende 
Anzeichen des teilweise exzessiven Gebrauchs 
bewusstseinsverändernder Rausch- und Betäubungsmittel. Das sich 
flott füllende Bierglas eingangs der Website für das diesjährige 
Zentralfest spricht Bände. Nun finde ich ja ganz grundsätzlich, dass 
eine biergetrübte Wahrnehmung eher wenig zur StV-Tugend beiträgt, 
"auf Edles stets den kühnen Blick zu wenden". Und nach meiner ganz 
persönlichen Einschätzung gibt es bessere Gründe, "der Freundschaft 
feste Säule zu umarmen" als ein promillebedingt schwankender Gang 
zur Bedürfnisanstalt. Ich spreche dazu indessen aus eigener 
Erfahrung und trete darum wegen Befangenheit zu diesem Thema fortan 
in den strafverfolgerischen Ausstand. Doch wer je den Riesenkampf 
gegen seinen Brummschädel hat wagen müssen, der mag getrost frei 
nach Kästner sprechen: "Ihr sollt nicht nüchtern sein, aber 
vernünftig".
IV.
Zweite Einsicht: Die dokumentierte Nähe einzelner StV-Protagonisten 
vor siebzig Jahren zu den faschistischen Fröntlern ist 
aufgearbeitet, verjährt und deshalb kaum von strafverfolgerischer 
Relevanz. Aber das strenge Gerüchlein, das ansatzweise aus einzelnen 
Kapiteln des Schw-StV aufsteigt, könnte eine besondere Verpflichtung 
dafür sein, dass sich der Schw-StV als "national-patriotischer 
Verein" im Zeichen der Vernunft jetzt und heute einer Schande 
annimmt, die nicht siebzig Jahre zurückliegt, sondern höchst aktuell 
ist. Ich meine damit die jährlich wiederkehrende Schande am Rütli. 
1. August 2002: Tausend Besucher auf dem Rütli, davon rund 
dreihundert als Rechtsextreme erkennbar. Ich weiss nicht, wie es 
Euch geht, aber mich bringt es nachgerade zur Weissglut, wenn 
rechtsextreme Ignoranten und neonazistische Dummköpfe am 1. August 
das Rütli im Herzen der katholisch-konservativen Innerschweiz 
überbevölkern, mit ihrer üblen Gesinnung den Nationalfeiertag als 
Treff-Tag usurpieren und am 1. August in Hundertschaften das Rütli 
besetzen.
Als Strafverfolger ist es nicht meine Aufgabe, den Rechtsextremismus 
abschliessend zu beurteilen. Diese Aufgabe obliegt in erster Linie 
den Leuten beim Staatsschutz. Nur soviel: Dummheit stirbt nicht aus. 
Dummheit ist auch nicht a priori strafbar. Aber wo Dummheit 
politisch gefährlich wird, sind wir als Schweizer - und als Stv-er 
sowieso - gefragt und gefordert. Und darum lanciere ich heute abend 
an Euch den Aufruf: Nächstes Jahr zum Nationalfeiertag auf das 
Rütli! Wollen wir doch einmal sehen, ob es der StV mit seinen 1400 
Aktiven und 6800 Altherren und -frauen nicht fertigbringt, gerade an 
diesem Tag und gerade an diesem Ort eine Ueberzahl auf die Beine zu 
bringen und die braune Brut wenigstens zahlenmässig dorthin zu 
verweisen, wo sie hingehört, nämlich in die verschwindende 
Minderzahl. Das Rütli gehört immer noch der Schweiz, nicht den Neo- 
Nazi-Glatzen.
Im Zeichen der politischen Vernunft und im Namen des politischen 
Anstands also hier mein Appell ans CC, die Aktivitas und die 
Altherrenschaft: Nächstes Jahr in Couleur und Vollwichs aufs Rütli - 
"dies sei des wahren Schweizer Losungswort". So bekommt die 
besungene StV-Besammlung "um den Altar des Vaterlands" unversehens 
eine alte, neue, ganz konkrete Bedeutung in der gelungenen 
Verbindung von Anachronismus und Avantgarde. Und der ebenso 
vielbesungene Kampf um "der Freiheit Hort" erhält dann Hand und 
Fuss. Unsere Hände und unsere Füsse.
V.
Dritte Einsicht: Die in den StV-Annalen vielbeschworene "Faszination 
amicitia" als unverdächtige Gelegenheit für Freundschaften fürs 
Leben und für die studienfördernde Pflege von Beziehungen kann 
schnell einmal einen hervorragenden Nährboden bilden für 
zweifelhafte Klüngeleien und undurchsichtige Seilschaften. Ihr mögt 
einwenden, dem stehe selbstredend die Maxime der "Virtus" entgegen, 
worauf ich mit strafverfolgerischer Skepsis darauf hinweisen muss, 
dass in der "Scientia" der Strafverfolgung die ersten Anzeichen von 
Korruption erfahrungsgemäss bereits dort ausgemacht werden können, 
wo das Strafrecht noch lange nicht mobilisiert werden muss. Oder 
anders gesagt: Auch homöopathische Dosen von "Vitamin B" können 
korruptionsfördernd wirken. Und zwischen Vetternwirtschaft und 
Korruption gibt es nach meiner Einschätzung höchstens einen 
quantitativen, aber gewiss keinen qualitativen Unterschied. Jetzt 
schlägt er der "schwarzen Kapelle" aber gehörig unter die 
Gürtellinie, mögt Ihr vielleicht denken, aber bevor ich als 
Nestbeschmutzer ins Offside gestellt werde, ersuche ich, doch einmal 
den Riesenkampf mit dieser Zeit zu wagen und einen Blick zu 
riskieren auf das rasant geschwundene Vertrauen breiter 
Bevölkerungskreise in Politiker und Wirtschaftsführer.
Ich möchte Euch in diesem Zusammenhang als Zeugin Simone Présumé 
vorstellen, eine einfache, auf den ersten Blick unbedeutende Frau. 
Simone Présumé lebt im völlig verarmten Karibikstaat Haiti, ohne 
Arbeit und ohne Geld. Von einem TV-Reporter wurde sie kürzlich über 
ihre Meinung zum haitianischen Präsidenten befragt, dem einstigen 
Armenpriester und Hoffnungsträger Jean-Bertrand Aristide, von dem 
der Ruf geht, er widme sich heute vor allem der Pflege seines 
Privatvermögens.
Simone Présumé hat dazu mit unbewegter Miene und leiser, aber klarer 
Stimme einen kurzen Satz gesagt, den man nicht oft und laut genug 
wiederholen kann: "Ich glaube nicht mehr an den Präsidenten. Der 
füllt doch bloss seine Taschen, wie alle anderen". Was Simone 
Présumé hier als Zeugin der Anklage zu Protokoll gegeben hat, bringt 
den Vertrauensverlust gegenüber Wirtschaftsführern und Politikern 
weltweit auf den denkbar einfachsten und oftmals zutreffenden Punkt: 
"Der füllt doch bloss seine eigenen Taschen, wie alle andern". Wie - 
alle - andern. Und bevor Ihr nun allzu laut gegen diese 
Zeugenaussage protestiert, lasst doch einmal einige Schlagzeilen der 
letzten Wochen, Monate und Jahre vor dem inneren Auge Revue 
passieren: Spendenaffären hüben und drüben, Bilanzfälschungen im 
grossen Stil, schamlose Abzockerlöhne und überrissene 
Manager-Abfindungen, undurchsichtige Verwaltungsratsmandate, 
Bonusmeilen und so weiter.
In der Vox Populi stehen Politiker und Wirtschaftsführer allesamt 
unter Verdacht: "Der füllt doch bloss seine Taschen, wie alle 
andern". Und dies unter gütiger Mithilfe der Gspänli und Amigos, 
denn darüber besteht im Volksmund keinerlei Zweifel: Eine Hand 
wäscht die andere, eine Krähe hackt der andern kein Auge aus und zum 
Söihäfeli gehört das Söideckeli. Und dann gehen mangels Vertrauen 
breiter Bevölkerungskreise neuerdings nicht mehr bloss die 
Popularitätskurven einzelner Politiker in die Tiefe, sondern in 
breiter Front auch die Börsenkurse auf ungebremste Talfahrt und die 
Weltwirtschaft gerät ins Trudeln mit all ihren wirtschaftlichen und 
sozialen Auswirkungen. Womit nach meiner Einschätzung rechtsgenügend 
belegt ist, dass für die verdächtige "Faszination amicitia" - soweit 
es zweifelhafte Klüngeleien und undurchsichtiger Seilschaften 
betrifft -, gelten muss: "Wehret den Anfängen". Denn am "treuen 
Bruderherzen erwarmen" sollte im StV doch wohl der Intellekt, das 
Gemüt, und nicht die Wertvermehrung des Curriculums oder des 
Geldbeutels.
VI
Nach diesen Erkenntnissen aus Sicht des Strafverfolgers zu 
Geschichte und Gebräuchen des StV möchte ich nicht bloss für 
Vernunft im Sinne Kästners plädieren. Ich möchte auch für Anstand 
plädieren. Ihr habt richtig gehört: Anstand! Nicht mehr und nicht 
weniger. Es ist mit dem Anstand ja so eine Sache: ebenso aus der 
Mode geraten wie die Vernunft, wäre es an der Zeit, dem Anstand auf 
breiter Front zu einer Renaissance zu verhelfen. Ebenso wie der StV 
ist auch der Anstand ein völlig anachronistisches Relikt aus einer 
anderen Welt. Ich meine damit nicht bloss einen Anstand im Sinne 
Knigge'scher Benimmregeln oder im Sinne eines Komments. Ich meine 
den Anstand als gesellschaftsbildende und gesellschaftsverändernde 
Kraft.
Vor einem Jahr hat Carlo als eingefleischter Appenzeller "Virtus" 
mit "Mannhaftigkeit" übersetzt, ethymologisch korrekt, aber 
politisch unkorrekt. Ich übersetze "Virtus" etwas freier und 
frauenfreundlicher, aber meiner Meinung nach ebenso treffend mit 
Anstand. "Anstand" ist nach meiner Ueberzeugung eine Art 
begriffliche Primzahl, das heisst, ein Ausdruck, der durch nichts, 
als durch sich selbst teilbar ist. Das verbindet den Anstand mit dem 
Begriff "Gewissen", mit dem er eng verwandt ist. Anstand und 
Gewissen sind ungemein schwer zu definieren. Aber jeder weiss, was 
damit gemeint ist. Wir könnten im Rahmen der StV-Alkohol- 
Informationstage endlos darüber diskutieren, wo in der Grauzone des 
Biergenusses die Grenze zum schwankenden Gang liegt. Wir könnten uns 
endlos die Köpfe einschlagen über die Frage, wann in der Grauzone 
politischer Dummheit die Grenze zum Rechtsextremismus überschritten 
wird. Oder wir könnten endlos darüber debattieren, wann in der 
Grauzone der Vetternwirtschaft strafrechtlich die Grenze zur 
Korruption überschritten wird. Aber in allen diesen Fragen, wie auch 
in praktisch allen anderen Fragen der persönlichen Ethik gilt: Jeder 
merkt es, wenn er die Grenze des Anstands überschreitet. Die Grenze 
des Anstands lässt sich nicht in Paragraphen, Parolen oder Promille 
fassen. Anstand versteht sich von selbst, aus sich selbst. Darum 
steht die Grenze des Anstands unverrückbar fest. Und Ihr und ich 
wissen es, wenn wir diese Grenze überschreiten. Anstand ist nicht zu 
trennen von aufrechter Haltung und von Charakter. Dies alles meint 
unser "Virtus". Wenn wir uns der Ausrichtung des Schw-StV auf die 
Maxime "Virtus" als Anstand zurückbesinnen, dann wandelt sich der 
Anachronismus StV zur Avantgarde StV, dann wandeln wir im Sinne des 
Riesenkampfs "auf der Weisheit lichtem Pfade". Deshalb plädiere ich 
als Strafverfolger vor Euch mit Ueberzeugung für Vernunft und 
Anstand. Ihr seid die Richter. Das Urteil liegt bei Euch!
"Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig. Ihr sollt Euch keine 
Flügel anheften. Ihr soll nicht gut sein, sondern vernünftig".
Und das mit Anstand, s'il vous plaît!
(Es gilt das gesprochene Wort)

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