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Verfassungsrichter haben es nicht eilig
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Eile mit Weile. Nach dieser Lebensweisheit wollen Deutschlands höchste Richter verfahren, wenn sie in den nächsten Wochen den "Eilantrag" zur Verfassungsmäßigkeit von Euro-Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt (Schuldenbremse) prüfen. Sie sind gut beraten, sich trotz der offenkundigen Eilbedürftigkeit und der Bitte der Bundesregierung um möglichst schnelle Klärung Zeit zu nehmen. Denn die Hüter des Grundgesetzes sind wieder aufgerufen, über Grundsätzliches zu entscheiden. Es wird mitbestimmend sein für Europas Weg in eine gemeinsame Zukunft wie für den Parlamentarismus in Deutschland. Eilanträge werden gewöhnlich in weit kürzeren Fristen vor dem endgültigen Urteil beschieden. Das hätte im konkreten Fall dramatische Folgen haben können, wenn nämlich die Richter unter Zeitdruck im vorläufigen Entscheid anders urteilen als nach reiflicher Beratung im Letzturteil. Die Euro-Schuldnerländer wären als Spekulationsopfer verschärft der Gier der Finanzmärkte ausgesetzt, die Bundestagsabgeordneten andererseits hätten weiter darüber gerätselt, welche parlamentarischen Rechte ihnen nach all den Euro-Rettungsbemühungen tatsächlich verbleiben. Das Bundesverfassungsgericht begründet seine abweichende Verfahrensweise denn auch damit, dass es sich um einen "herausragenden politischen Verhandlungsgegenstand" handele. Konkret: Auf der europäischen Ebene geht es um die Rettung von Euro und gemeinsamer Währungszone sowie letztlich um das Gewicht Europas auf dem politischen wie wirtschaftlichen Weltmarkt. Innenpolitisch steht mit dem Budgetrecht das Königsrecht der Parlamentarier auf dem Spiel. Aus nachvollziehbaren Gründen nämlich fürchten Abgeordnete aller Parteien, dass die Hoheit des Bundestags, über den Jahreshaushalt zu entscheiden und damit die Regierung zu kontrollieren, durch immer weniger durchschaubare, aber immer mehr Euro-Beschlüsse ausgehöhlt wird. Und es wird wohl auch um Angela Merkels Zukunft gehen. Sollten die Richter dem Rettungsschirm eine Absage erteilen, wäre der gute Ruf der Kanzlerin als Krisenmanagerin ebenso dahin wie ihre Chancen im Wahljahr 2013. Aus all dem folgt: Der Karlsruher Zwischenbescheid am 12. September dürfte dem endgültigen Urteil sehr nahe sein. Die gestrige Ankündigung der Richter überrascht nicht. Sie hat sich bereits bei der Anhörung Anfang Juli angedeutet, ohne dass dies schon ein Indiz für das Urteil ist. Was es für die Abgeordneten bedeutet, auf mehr Mitsprache bei der Euro-Rettung zu pochen, bekommen sie übrigens am Donnerstag zu spüren. Sie müssen aus dem Urlaub zu einer Sondersitzung nach Berlin eilen. Das haben sie den Verfassungsrichtern zu verdanken. Die hatten ihnen in einem früheren Urteil Mitsprache zugebilligt, sobald Deutschland über neue Tranchen aus dem Euro-Rettungsschirm zu entscheiden hat. In zwei Tagen geht es um den Hilfskredit über 100 Milliarden Euro, den Spanien für seine Banken braucht. Den Abgeordneten und dem Euro sei gewünscht, dass es die einzige Sondersitzung bleibt. In unser aller Interesse.

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