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Media Service: Schweizer Presserat; Stellungnahme 53/2009 Parteien: X. c "Sonntag" (Beschwerde teilweise gutgeheissen)

Interlaken (ots)

Sinnentstellende Kürzung eines Leserbriefs
I. Sachverhalt
A. Am 29. März 2009 vermeldete «Sonntag» in der Rubrik 
«Schlaglicht», 10vor10-Moderatorin Katja Stauber habe vor Gericht 
gewonnen. Dem radikalen Tierschützer Erwin Kessler sei untersagt 
worden, «Äusserungen über Katja Stauber zu veröffentlichen, die in 
Zusammenhang mit Tierquälerei oder Botox-Präparaten stehen». Auf 
seiner Homepage habe Kessler im Herbst 2008 mehrere Berichte über 
Stauber verbreitet, in denen er sie als Egozentrikerin bezeichnete 
und ihr das Spritzen von Botox anlastete. Weiter habe Kessler 
geschrieben, dass dieses «Tierquäler-Produkt» unter besonderer 
Grausamkeit hergestellt werde. Laut dem Zürcher Obergericht sei 
dieser weitgehende Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit 
gerechtfertigt, weil weitere Persönlichkeitsverletzungen zu 
befürchten seien.
B. Am 30. März 2009 sandte X. folgenden Leserbrief an die 
Redaktion von «Sonntag»: «Wie eitel und ängstlich muss die 
Fernsehfrau Katja Stauber sein, wenn sie auf Äusserungen fremder 
Menschen, in diesem Fall Erwin Kessler, derart reagiert und sogar 
Strafanzeige einreicht! Wieso distanziert sich die Fernsehfrau nicht 
ganz klar davon, dass sie sich Botox spritzen lässt? Ihre Reaktion 
lässt eher darauf schliessen, dass sie sich dieses Nervengift gegen 
Falten spritzen lässt. Das ist schlimm, weil dafür grausame 
Tierversuche gemacht werden müssen und Tierquälerei ist keine 
Privatsache.»
C. Am 5. April 2009 veröffentlichte «Sonntag» den Leserbrief von 
X., strich aber den Schlusssatz «Das ist schlimm, weil dafür grausame
Tierversuche gemacht werden müssen und Tierquälerei ist keine 
Privatsache.»
D. Am 7., 13. und 15. April 2009 beanstandete X. per E-Mail die 
aus ihrer Sicht sinnstörende Kürzung und verlangte den Abdruck des 
ungekürzten Leserbriefs.
E. Am 15. April 2009 antwortete Chefredaktor Patrik Müller 
ebenfalls per E-Mail, es sei üblich, Leserbriefe zu kürzen. Der Brief
von Manuela Pinza sei dadurch nicht sinnentstellt worden.
F. Am 17. April 2009 gelangte die durch den Präsidenten des 
Vereins gegen Tierfabriken Schweiz, Erwin Kessler, vertretene X. mit 
einer Beschwerde gegen «Sonntag» an den Presserat. Für 
Gelegenheitsleser oder solche, die sich an den Ausgangsartikel nicht 
mehr erinnerten, sei durch die sinnentstellende Kürzung der falsche 
Eindruck entstanden, die Leserbriefschreiberin kritisiere ein 
privates Verhalten der Moderatorin, das die Öffentlichkeit nichts 
angehe. Die Kürzung verletze deshalb die Ziffern 1 (Wahrheitsgebot) 
und 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen) der «Erklärung der 
Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Durch die
sinnentstellende Kürzung habe «Sonntag» weiter die Richtlinie 5.2 
(Leserbriefe) zur «Erklärung» verletzt. Und schliesslich habe die 
Zeitung mit der Weigerung, den vollständigen Brief nachträglich 
abzudrucken, die Berichtigungspflicht (Ziffer 5 der «Erklärung») 
verletzt.
G. Am 7. Mai 2009 wies Chefredaktor Patrick Müller die Beschwerde 
namens der Redaktion von «Sonntag» als unbegründet zurück. Durch die 
Kürzung des Leserbriefs sei weder das Wahrheitsgebot verletzt noch 
seien wichtige Informationen unterschlagen worden. Das Weglassen des 
letzten Satzes des Leserbriefes sei keinesfalls sinnentstellend. Der 
im Leserbrief erwähnte Erwin Kessler sei als Tierschützer bekannt. 
Zudem sei der Brief bloss eine Woche nach dem Artikel erschienen, auf
den sich die Leserbriefschreiberin bezieht. Als Leser erinnere man 
sich deshalb an den Zusammenhang. Und in den Tagen und Wochen vor dem
Leserbrief hätten praktisch alle Medien über den Fall Stauber gegen 
Kessler berichtet. Im Übrigen sei umstritten, ob - wie von X. im 
umstrittenen Satz behauptet - für Botox grausame Tierversuche gemacht
werden müssten. Schliesslich, merkt «Sonntag» an, gebe es 
offensichtliche Hinweise, dass der Leserbrief von X. von Erwin 
Kessler «gesteuert» gewesen sei.
H. Am 14. Mai 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die 
Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem 
Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther 
Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, behandelt.
I. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 
14. Oktober 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. a) Gemäss ständiger Praxis des Presserates sind Redaktionen 
nicht verpflichtet einen bestimmten Leserbrief abzudrucken (vgl. 
zuletzt die Stellungnahme 5/2008). Tun sie dies aber, sind sie bei 
der Bearbeitung an die berufsethischen Normen gebunden. Laut der 
Richtlinie 5.2 zur «Erklärung» dürfen Leserbriefe «redigiert und dem 
Sinn entsprechend gekürzt werden». Für die Überprüfung des Inhalts 
von Leserbriefen gilt hingegen bloss ein eingeschränkter 
Prüfungsmasstab. Leserbriefredaktionen sollten nur bei 
offensichtlichen Verletzungen der «Erklärung» eingreifen.
b) Die Beschwerdeführerin rügt zweierlei: Zum einen beanstandet 
sie, «Sonntag» habe ihren Leserbrief durch Weglassung des Satzes 
sinnentstellend gekürzt. Daraus folgert sie, mit der Veröffentlichung
des gekürzten Leserbriefes habe die Redaktion die Ziffern 1 
(Wahrheit) und 3 (Unterschlagung/Entstellung von Tatsachen) der 
«Erklärung» verletzt.
2. a) Das Gebot, Leserbriefe nicht sinnentstellend zu kürzen, soll
eine faire Behandlung von Leserbriefschreiber/innen gewährleisten und
dafür sorgen, dass - falls eine Zuschrift publiziert wird - der 
veröffentlichte Text der Intention des Autors angemessen Rechnung 
trägt.
b) Anlass des Leserbriefes von X. ist der Bericht über eine 
gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Katja Stauber und Erwin 
Kessler zum Thema Botox und Tierquälerei. Ist dieser Zusammenhang 
auch nach der Streichung des letzten Satzes des Leserbriefs 
ersichtlich?
c) Nach Auffassung des Presserates ist dies zu verneinen. Zwar 
dürfte der Name Erwin Kessler vielen Leserinnen von «Sonntag» 
geläufig sein, aber doch wohl längst nicht allen. Erst recht gilt 
dies für die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen ihm und Katja 
Stauber, von der in erster Linie Insider Kenntnis gehabt haben 
dürften. Gerade bei einer wöchentlich erscheinenden Zeitung wie 
«Sonntag» kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass die 
Leserschaft noch sämtliche Beiträge der Vorwoche im Kopf hat. 
Entsprechend führte die Streichung des letzten Satzes - «Das ist 
schlimm, weil dafür grausame Tierversuche gemacht werden müssen und 
Tierquälerei ist keine Privatsache.» - dazu, dass für einen Grossteil
der Leserschaft von «Sonntag» kaum mehr verständlich war, worum es 
der Leserbriefschreiberin ging: Katja Stauber dafür zu kritisieren, 
dass sie Tierschützer Erwin Kessler einen «Maulkorb» verpasste, 
anstatt sich öffentlich vom Spritzen von Botox zu distanzieren, für 
dessen Herstellung grausame Tierversuche notwendig seien. Im Ergebnis
stellt der Presserat unter dem Gesichtspunkt der Bearbeitung von 
Leserbriefen deshalb eine Verletzung der Ziffer 5 der «Erklärung» 
fest. Die Veröffentlichung einer kurzen Präzisierung wäre unter 
diesen Umständen angebracht gewesen.
3. Ist aus dieser sinnenstellenden Kürzung zusätzlich eine 
Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Unterschlagung/Entstellung
von Tatsachen) der «Erklärung» abzuleiten? Nach Auffassung des 
Presserates ist dies zu verneinen. Der Presserat hat in seiner 
jüngeren Praxis wiederholt (vgl. z.B. die Stellungnahmen 10 und 
26/2005, 5/2006, 6/2008) darauf hingewiesen, dass nicht jede formale 
oder inhaltliche Ungenauigkeit bereits eine Verletzung einer 
berufsethischen Norm begründet. Vielmehr verlangt das Prinzip der 
Verhältnismässigkeit, dass eine Unkorrektheit eine gewisse Relevanz 
aufweist. Auch wenn die sinnentstellende Bearbeitung ihres 
Leserbriefs für die Beschwerdeführerin bedauerlich ist, wäre es 
unverhältnismässig, allein wegen der Streichung des Schlussatzes «Das
ist schlimm, weil dafür grausame Tierversuche gemacht werden müssen 
und Tierquälerei ist keine Privatsache» eine Verletzung der Ziffern 1
und 3 zu bejahen. Denn der veröffentlichte Text ist als solcher weder
offensichtlich unwahr, noch ist die Kenntnisnahme des letzten Satzes 
aus Sicht der Leserschaft offensichtlich unverzichtbar. Und entgegen 
der Ausführungen in der Beschwerdeschrift erscheint die 
Beschwerdeführerin dadurch weder als unehrenhaft, noch ist zu 
befürchten, dass die Leserschaft in relevanter Weise in die Irre 
geführt wird. Wer den Fall Kessler-Stauber kennt, wird auch beim 
gekürzten Text wissen, worum es geht. Wer ihn nicht kennt, wird dem 
Text zumindest entnehmen, dass die Leserbriefschreiberin das 
Verhalten der TV-Moderatorin in Zusammenhang mit einer von dieser 
eingereichten Strafanzeige kritisiert.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. «Sonntag» hat mit der Kürzung des Leserbriefes von X. in der 
Ausgabe vom 5. April 2009 die Ziffer 5 (Bearbeitung von Leserbriefen)
der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und 
Journalisten» verletzt.
3. Nicht verletzt hat «Sonntag» die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 
(Unterschlagung wichtiger Informationen) der «Erklärung».

Kontakt:

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CONSIGLIO SVIZZERO DELLA STAMPA
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Martin Künzi, Dr. iur., Fürsprecher
Bahnhofstrasse 5
Postfach/Case 201
3800 Interlaken
Telefon/Téléphone: 033 823 12 62
Fax: 033 823 11 18
E-Mail: info@presserat.ch
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