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Gespräch mit Rita Gettkowski, Leiterin des Luzerner Interventionsprojekts gegen häusliche Gewalt (LIP)

Luzern (ots)

Häusliche Gewalt darf nie und nimmer Privatsache sein
Jede fünfte Frau in der Schweiz ist von der
häuslichen Gewalt betroffen. Diese äussert sich in den
verschiedensten Formen, angefangen von der Demütigung und
Beschimpfung über das Anwenden von körperlicher und psychischer
Gewalt bis hin zur Tötung. Das Luzerner Interventionsprojekt will die
Gewalt gegen Frauen mit einem neuen Ansatz und den drei Hauptzielen:
Gewalt stoppen - Opfer schützen - Täter zur Verantwortung ziehen -
bekämpfen.
Nach einer Nationalfondstudie erfährt jede fünfte Frau körperliche
und/oder sexuelle Gewalt. Für rund vierzig Frauen endet jährlich die
Beziehung zu einem Mann tödlich. Was ist unter dem Begriff "häusliche
Gewalt" zu verstehen?
Rita Gettkowski: Unter häuslicher Gewalt, ist die Gewalt in einer
Beziehung, in der Partnerschaft, der Ehe oder Familie zu verstehen.
Dabei handelt es sich vorwiegend um männliche Gewalt und eine solche
unter Erwachsenen. In mindestens neun von zehn Fällen ist der Mann
der Täter. Bei den Auseinandersetzungen geht es um Macht und um die
Kontrolle über einen anderen Menschen mit dem Mittel der Gewalt. Es
beginnt bei Beschimpfungen, Demütigungen, Drohungen und geht über
Nötigung, die Anwendung von physischem Druck und Körperverletzung bis
hin zur Tötung.
Was für Frauen sind von häuslicher Gewalt betroffen?
Es gibt kein Opferprofil. Von der häuslichen Gewalt sind Frauen
aller Altersstufen, Kulturen und sozialen Schichten betroffen. Wo das
Machtgefälle in einer Beziehung am grössten ist, besteht auch die
grösste Gefahr von Missbrauch. Dies kann beispielsweise in
Partnerschaften sein, in denen der Mann sich als "Herr im Haus" fühlt
und seiner Partnerin zu Hause seinen Willen aufzwingen will. Die
klassische Arbeitsteilung, die untergeordnete Stellung der Frauen und
ihre wirtschaftliche Abhängigkeit können dabei die Gewalt gegen
Frauen begünstigen.
Trotzdem, viele harren trotz Misshandlungen aus, ziehen auch einst
eingeleitete Anzeigen zurück. Warum?
Viele Frauen schweigen aus Scham. Manche von ihnen haben das
Selbstvertrauen verloren und damit keine Kraft zum Weggehen. Die
einen wissen nicht, wohin sie gehen könnten. Oder sie besitzen kein
Geld und sehen keine Möglichkeit für die Kinder und sich selbst zu
sorgen. Viele Frauen bleiben aus Angst, der Mann könne seine
Drohungen wahr machen. Schliesslich gibt es Frauen, die ihren Mann
trotz seiner Gewaltanwendung immer noch lieben und hoffen, dass er
sich ändern wird. Gerade deshalb gilt es, die Frauen besser zu
unterstützen, ihnen zu erklären, was für Möglichkeiten sie haben,
welche Anlaufstelle es gibt und was in einem Strafverfahren
geschieht.
Ist es denn Aufgabe des Kantons sich mit dieser Problematik
auseinander zu setzen. Es gibt doch schon genügend Anlaufstellen, die
sich dieses Problems annehmen?
Es ist sicherlich auch eine der Aufgaben der öffentlichen Hand.
Die öffentlichen Kosten, die Gewalt gegen Frauen verursachen,
belaufen sich jährlich gesamtschweizerisch auf fast 410 Millionen
Franken. Davon entfällt ein grosser Teil (Polizei, Sozialhilfe,
Gerichte, Spitalpflege) bei den Kantonen an. Es ist aber klar
festzuhalten, dass das Luzerner Interventionsprojekt keine neue
Anlaufstelle des Kantons ist. Mit den Opferberatungsstellen, dem
Frauenhaus oder dem Männerbüro kennen wir bereits genügend
Institutionen. Ziel des Projekts ist es, konkrete Massnahmen zu
prüfen und zu entwickeln um den Schutz der betroffenen Frauen und
Kinder zu verbessern und die Täter konsequent zur Verantwortung zu
ziehen.
Um Massnahmen zu prüfen oder zu entwickeln sind Sie ja auf die
Hilfe anderer Organisationen oder Behörden  angewiesen. Wie stellen
Sie die Zusammenarbeit sicher?
Drehscheibe des Projekts ist der "Runde Tisch", der von
Regierungsrätin Margrit Fischer-Willimann geleitet wird. An diesem
nehmen Vertreterinnen und Vertreter der Amtsgerichte, der
Amtsstatthalterämter, der Fachstelle gegen Männergewalt, der
Fachstelle für die Beratung und Integration von Ausländerinnen und
Ausländern Fabia, des Frauenhauses, der Kriminalpolizei, des
Obergerichtes, der Opferberatungsstelle für sexuell ausgebeutete
Kinder und Jugendliche VIVA, der Opferberatungsstelle für Frauen und
weibliche Jugendlichen, des kantonalen Sozialamtes, der
Staatsanwaltschaft und des Sozialvorsteher-Verbandes teil. Es ist
dieser "Runde Tisch", der die Hilfsangebote der beteiligten
Organisationen vernetzt und Massnahmen umsetzt. Drei Arbeitsgruppen
sind bereits daran konkrete Massnahmen zu erarbeiten, um die
betroffenen Frauen und Kinder besser schützen und betreuen, um
konsequenter gegen die Täter vorgehen und um Migrantinnen besser
informieren und schützen zu können.
Braucht es aber nicht noch mehr?
Mit dem ist es sicher noch nicht getan. Mit
Weiterbildungsangeboten wollen wir den Mitarbeitern und
Mitarbeiterinnen in Behörden und Ämtern die besondere Dynamik der
Gewalt aber auch die Möglichkeiten aufzeigen, wie die betroffenen
Frauen unterstützt werden können. Es geht auch darum, sie für das
Problem zu sensibilisieren. Zudem wollen wir aufzeigen, dass Gewalt
keine Lösung ist, und dass es Alternativen zur Gewalt gibt. Die
Symptombekämpfung ist der eine Punkt. Es gilt aber auch das Übel an
der Wurzel zu packen und Gewalt gar nicht entstehen zu lassen.
Auch wenn Organisationen  und Behörden sich vermehrt des Themas
annehmen: ein  Grossteil der Bevölkerung verschliesst die Augen
gegenüber häuslicher Gewalt. Wie soll hier eine Änderung
herbeigeführt werden?
Es ist richtig, häusliche Gewalt ist in unserer Gesellschaft noch
immer tabuisiert. In der Öffentlichkeit wird sie totgeschwiegen.
Dennoch findet Gewalt statt, aber eben innnerhalb der eigenen vier
Wände und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Mit einer
Informationskampagne wollen wir erreichen, dass das Thema
enttabuisiert wird. Es gilt die Öffentlichkeit zu sensibilisieren,
dass Gewalt in Ehe, Partnerschaft und Familie keine Privatsache
darstellt, sondern uns alle angeht. Damit wird den Tätern klar und
unmissverständlich signalisiert, dass die Gesellschaft gewalttätiges
Verhalten nicht toleriert und sie dafür zur Rechenschaft zieht.
Dies bedingt aber auch eine Revision des Strafgesetzbuches?
Ein Schritt in diese Richtung wurde bereits auf Bundesebene getan.
Eine Änderung des Strafgesetzbuches sieht vor, dass Fälle von
häuslicher Gewalt zu Offizialdelikten erhoben werden, also von Amtes
wegen strafrechtlich verfolgt werden müssen. Ein vom Bundesrat in
diesem Frühjahr in die Vernehmlassung gegebener Entwurf fand eine
breite Zustimmung. Umstritten ist aber, vor allem bei den
Staatsanwälten, wann ein Verfahren allenfalls wieder eingestellt
werden kann. Von allen Parteien und Organisationen, die sich zur
Revision äusserten, sehen nur die SVP und der Schweizerische
Gewerbeverband keinen Änderungsbedarf.
Bis aber das Gesetzeswerk geändert wird, kann noch einige Zeit
verstreichen. Was können wir denn jetzt tun, um die Situation zu
verbessern?
Alle Beteiligten und die ganze Gesellschaft sind aufgerufen, nicht
wegzuschauen, sondern die Gewalt wahrzunehmen und Stellung zu
beziehen. Einerseits ist den Opfern Hilfe und Unterstützung
anzubieten, andererseits sind dieTäter für ihre Handlungen zur
Rechenschaft zu ziehen. Nur so wird es gelingen, dass die häusliche
Gewalt von der Gesellschaft erkannt, thematisiert und schliesslich
verhindert werden kann.

Kontakt:

Hinweis an die Redaktionen:
Ein Bild von Rita Gettkowski kann unter infokanton@lu.ch abgerufen
werden.

Frau Gettkowski ist Mittwoch vormittags erreichbar
(Tel. +41 41 228 59 29).

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