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"Lass uns versuchen, den Schmerz gemeinsam zu heilen": Interview mit Regisseurin Sadhvi Siddhali Shree zu ihren Dokus gegen Menschenhandel - TV-Premiere diesen Donnerstag auf Crime + Investigation

"Lass uns versuchen, den Schmerz gemeinsam zu heilen": Interview mit Regisseurin Sadhvi Siddhali Shree zu ihren Dokus gegen Menschenhandel - TV-Premiere diesen Donnerstag auf Crime + Investigation
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München (ots)

Menschenhandel und Ausbeutung sind nach wie vor ein großes Problem - weltweit und auch im deutschsprachigen Raum. Die Bandbreite der Straftaten reicht von Zwangsprostitution über Zwangsarbeit bis Sklaverei. Laut Brot für die Welt leiden in Europa schätzungsweise 600.000 Menschen unter Formen moderner Sklaverei, weltweit sollen es mehr als 25 Millionen sein. Ein perfider Markt, der den Kriminellen jährlich Milliarden Dollar einbringt.

Diesem Missstand widmet Crime + Investigation mit den deutschen TV-Premieren der preisgekrönten Dokumentationen "Stoppt den Menschenhandel - Eine Bewegung gegen moderne Sklaverei" und "Ein Leben nach dem Sexhandel" an diesem Donnerstag, 29. September, ab 20:15 Uhr die Sonderprogrammierung "Gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung", in der sowohl persönlich Betroffene als auch Aktivisten und Wissenschaftler zu Wort kommen.

Beide Dokumentationen stammen von Sadhvi Siddhali Shree, die sich im folgenden Interview zu ihrer Arbeit als Regisseurin und Produzentin der genannten Filme sowie zum Missstand des Menschenhandels und der sexuellen Ausbeutung äußert. Bei "Ein Leben nach dem Sexhandel" arbeitete Shree unter anderem mit der US-Schauspielerin Alyssa Milano zusammen, die bei diesem Dokumentarfilm als Co-Executive-Producerin fungierte - Milano rief 2017 über Twitter zur Verbreitung des Hashtags #MeToo auf.

"Lass uns versuchen, den Schmerz gemeinsam zu heilen"

Ein Gespräch mit der Regisseurin und Produzentin Sadhvi Siddhali Shree zu ihren Dokumentationen "Stoppt den Menschenhandel - Eine Bewegung gegen moderne Sklaverei" und "Ein Leben nach dem Sexhandel", die der TV-Sender Crime + Investigation an diesem Donnerstag, 29. September, ab 20:15 Uhr im Rahmen des Themenschwerpunktes "Gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung" in deutscher Erstausstrahlung zeigt

Sadhvi Siddhali Shree ist eine in den USA lebende Jain-Mönchin, Filmregisseurin, Autorin, Irakkriegsveteranin und Aktivistin mit deutschen Vorfahren väterlicherseits, wie sie zu Beginn unseres Interviews erzählt. Die couragierte Frau ist vor allem für ihren Dokumentarfilm "Stoppt den Menschenhandel - Eine Bewegung gegen moderne Sklaverei" (Originaltitel "Stopping Traffic: The Movement to End Sex-Trafficking") aus dem Jahr 2017 bekannt. Sie wuchs in einer katholischen Familie auf und distanzierte sich nach dem Abitur von dieser Konfession. Während ihres Studiums an der High School schrieb sie sich als Sanitäterin bei der US-Armee ein. Im Alter von 20 Jahren traf sie zum ersten Mal auf ihren spirituellen Guru Acharya Shree Yogeesh. Sie litt nach ihrem Einsatz im Irakkrieg als US Army Combat Medic Sergeant an einer leichten posttraumatischen Belastungsstörung, von der sie behauptete, Jain-Gedanken und die Anleitung ihres Gurus hätten ihr geholfen, sich davon zu erholen. Sadhvi Siddhali Shree war 2008 im Alter von 24 Jahren die erste Nicht-Inderin, der außerhalb des Subkontinents eine Initiation im Jainismus erhielt. Im selben Jahr kam sie als spirituelle Leiterin zu Siddhayatan. Sie ist auch Direktorin der International Society of Human Unity und sorgte für Aufsehen als erste "nordamerikanische Jain-Mönchin".

Sadhvi Siddhali Shree wurde selbst im Alter von sechs Jahren in Haus ihrer Familie in Südkalifornien sexuell missbraucht. Seit 2013 setzt sie sich als Aktivistin in verschiedenen Formen gegen den Menschenhandel mit Schwerpunkt auf den Opfern des Sexhandels ein. In ihren Arbeiten kam sie mit mehreren internationalen Menschenrechtlern zusammen, darunter Rosi Orozco, Cecilia Oebanda oder Agnes De Coll. Ihr erster Film "Stopping Traffic" deckte den Sex- und Menschenhandel nicht nur in Europa, in lateinamerikanischen und asiatischen Ländern, sondern auch in den Vereinigten Staaten mit Schwerpunkt Dallas, New Orleans, Houston und Los Angeles auf. Sexhandel ist weltweit nach wie vor ein großes Problem, auch in Deutschland blüht das schmutzige Geschäft, wie Sadhvi Siddhali Shree im nachfolgenden Gespräch aufzeigt.

"Ein Leben nach dem Sexhandel" (Originaltitel: "Surviving Sex Trafficking") produzierten Sie teils während der Corona-Pandemie. War es wegen Corona schwierig zu drehen?

Wir haben bereits 2019 angefangen, "Surviving Sex Trafficing" zu drehen. In Indien und Äthiopien hatten wir nur ein Zeitfenster von zwei Wochen. Nachdem wir die USA verlassen hatten, wurde die Grenze geschlossen. Als wir in Indien ankamen, wurde auch dort die Grenze wenige Stunden später dicht gemacht. Wir waren also "gefangen". Die ganze Welt erschien uns allen plötzlich als eine andere. Die ansonsten überfüllten Straßen waren leer. Nach Äthiopien zu reisen, war für mich auch eine merkwürdige Erfahrung. Die Einwohner sahen uns skeptisch an - frei nach dem Motto: "Vielleicht haben die ja Corona." Die Angst war so groß! Fast alle Flüge wurden gestrichen. Wir hatten nur zwei Tage Zeit, zu drehen. Am Flughafen mussten wir richtig rennen, um unseren Flieger zu erreichen, weil zuvor schon zwei Flüge gestrichen worden waren. Wir verloren unser Gepäck und sogar einen Teil der Filmausrüstung. Corona beeinflusste das Filmemachen international ungemein. Aber unser Thema war und ist uns wichtig, denn es macht auch nicht vor Corona halt. Es passiert die ganze Zeit über.

Aus beiden Dokumentationen geht hervor, dass Sexhandel und sexueller Missbrauch nicht nur in Südostasien und Afrika leider an der Tagesordnung sind, sondern auch ein mieses Geschäft in den USA.

Hier in den USA denken viele, dass es ein Dritte-Welt-Thema ist. Es hat auch mit mangelnder Erziehung, Bildung und Information zu tun, aber die Leute glauben nicht, dass es sich auf ihren eigenen Hinterhöfen ereignet. Es ist online versteckt. Es ist Underground. Erst in den letzten Jahren hat sich durch Bewegungen und Kampagnen ein langsames Umdenken ergeben. Dokumentationen wie die unseren tragen zu diesem Bewusstseinswandel und der Erkenntnis bei, dass es auch in Amerika unfassbar viel Sexhandel und sexuellen Missbrauch gibt.

Was wissen Sie über Sexhandel in Deutschland?

Wir haben auch dort nachgeforscht. Es passiert vor allem Einwanderern aus Rumänien und der Ukraine, die im letzteren Fall schon Opfer des Krieges sind. Ihre Verletzlichkeit und Schwäche wird ausgenutzt. Auch nigerianische Frauen wurden mit Versprechungen angelockt: "Komm' nach Deutschland! Wir machen aus dir ein Model! Wir geben dir einen Job. Hier kannst du viel Geld verdienen!" Und sie machen das dann alles mit bis zur Prostitution, um das Geld nach Hause an ihre Familien zu schicken. Diese falschen Versprechungen, um sie nach Deutschland zu locken, lassen sie glauben, in der nahen Zukunft ein besseres Leben für sich und ihre Familien zu haben. Viele werden mit psychologischen Mitteln unter Druck gesetzt, indem ihnen von den Zuhältern versprochen wird, dass die Ledigen von ihnen geheiratet werden könnten. Manche von ihnen verlieben sich in ihre Sexhändler, die häufig sehr gewieft vorgehen. Oder ihnen wird drastisch angedroht, dass, wenn sie nicht mitmachen, ihre Familien umgebracht oder ihre Pässe einbehalten werden. Die Taktiken der Sexhändler sind verabscheuungswürdig. Manche reisen in Krisengebiete, schauen sich dort nur nach Frauen und Kindern um und versprechen ihnen: "Ich kümmere mich um dich! Ich vermittele dir einen Job. Also komm' mit mir!" Sie sind in einer verzweifelten Lage und kommen vom Regen in die Traufe, indem sie in die Falle der Sexhändler tappen. Es ist so falsch, so unfair und so schmerzhaft - und es passiert irgendwo auf der Welt jeden Tag mehrfach - und das nur für den Profit.

Sie wurden selbst Opfer sexuellen Missbrauchs.

Ja, ich hatte lange vergessen beziehungsweise verdrängt, was mir angetan wurde, als ich sechs Jahre alt war. Erst im Jahr 2013, als ich mich mitten in einer Meditation befand und wirklich ganz entspannt war, lief unglücklicher- und glücklicherweise wieder die ganze schreckliche Erfahrung vor meinem inneren Auge ab. Ich wusste wohl schon als Kind, dass mir etwas Schlimmes angetan wurde, aber nicht in welchem Ausmaß. Damals sollten die Innenwände unseres Hauses von Malern neu gestrichen werden, und einer von ihnen nahm mich bei der Hand und brachte mich zu unserem ersten Badezimmer. Unglaublich, aber wahr: Meine Familie befand sich im Haus, aber der Maler schloss die Badezimmertür von innen ab. Es braucht nur wenige Minuten, um ein Kind zu verletzen. Beide Dokumentationen - die erste und noch mehr die zweite - waren für mich ein später Ausdruck dafür, meine Geschichte, dieses an mir begangene Verbrechen, zu verarbeiten. Es war meine persönliche Reise zur Selbstheilung.

Bei Ihnen waren die Erinnerungen für viele Jahre also wie weggewischt?

Ja, aber das Vergessen oder Verdrängen hilft nicht weiter. Darüber zu sprechen, es aufzuarbeiten, bringt einem erst den - inneren - Frieden. Mir haben die Dokumentationen dabei geholten, mit meinen seelischen Schmerzen umzugehen. Anderen ist ja auch viel Schlimmeres angetan worden, und es bedarf großen Muts, sich darüber auszutauschen und damit sogar an die Öffentlichkeit zu gehen. Meine Herangehensweise bei den Interviews für die Dokumentationen war dann diese: Auch wenn ich deinen Schmerz nicht genau kenne, fühle ich doch meinen - und das verbindet uns. So lass uns versuchen, ihn gemeinsam zu heilen.

Hat also die Beschäftigung mit dem Thema Sexueller Missbrauch Ihr Leben nicht nur mit dem Drehen der beiden Dokus, sondern auch dem Schreiben von Büchern und Artikeln in gewisser Weise verändert? Das Thema scheint bei Ihnen doch stets präsent zu sein, nicht?

Ja, es ist ein Teil, aber nicht alles von mir. Ich hoffe, durch meinen Schmerz und die Reflexion darüber, anderen zu helfen, den ihrigen zu bewältigen. Ich war auch im Irakkrieg mit schlimmen Dingen konfrontiert. Die Veränderung meines Lebensstils und die Hinwendung zur Spiritualität haben mir sehr geholfen. Auch die Beschäftigung mit Tieren und Pflanzen. Niemand will sterben, auch die kleine Biene nicht, die um uns herumschwirrt.

Sie sind von der katholischen Kirche zu Buddha "gewechselt". Half Ihnen das auch, mit dem Thema sexueller Missbrauch umzugehen?

Ich bin katholisch erzogen worden und mochte das auch. Ich besuchte eine katholische Hig School, doch es war ein langer Weg für mich hin zur Spiritualität. Erst durch sie lernte ich, meine Stimme zu erheben. In der katholischen Kirche heißt es immer "Liebe deinen Nächsten!" Um Menschen aber wirklich zu helfen, musst du vor allem auch dich selbst lieben können. Das Erlernen von Meditationstechniken öffnete mir im Wortsinn die Augen. Denn wie willst du jemand auf offener See vorm Ertrinken bewahren, wenn du selbst nicht schwimmen kannst? Manchmal zeigt sich auch echtes Mitgefühl darin, wenn du lernst, "nein" zu sagen. Viele Überlebende des massiven sexuellen Missbrauchs kamen zu uns Mönchen und beklagten: "Wir haben so viel Wut und so viel Hass!" Ich entgegnete ihnen: "Wir Mönche sind jetzt glücklich, doch wir litten zuvor auch viel." Die Umwandlung von negativen Gefühlen in positive ist sehr wichtig.

Gibt es in beiden Dokumentationen Fälle, die Ihnen besonders wichtig sind?

Da ist beispielsweise Dr. John King aus dem ersten Film und Angela Williams aus dem zweiten. John ist als männliche Figur, die viel leiden musste, extrem wichtig für uns. Erst nach seiner Scheidung in seinen frühen Vierzigern kam in ihm die Erinnerung wieder hoch, was ihm im Alter von vier bis sechzehn Jahren widerfahren war und was er verdrängt hatte. Er wurde von seinen eigenen Eltern missbraucht und dann in deren Freundeskreis "herumgereicht". Sein Fall zeigt, dass nicht nur Frauen vergewaltigt werden, sondern auch Männer und vor allem kleine Jungen. Angela sah unsere erste Doku in New York und erkannte: "Das ist auch meine Geschichte!" Sie nahm dann mit Dr. King Kontakt via Instagram auf. Und so wurden wir auf sie aufmerksam.

Wie fielen die Reaktionen auf Ihre Dokumentationen aus?

Von den Betroffenen gibt es sehr viel Dankbarkeitsbekundungen in Form von Briefen, Mails und Anrufen. Es wird anerkannt, dass wir Non-Profit-Dokumentarfilmer sind. Alles Geld, was wir durch die Filme einnehmen, geht zurück an die Opfer oder karitative Einrichtungen wie Frauenhäuser.

Nach dem Aufzeigen von Sexhandel und sexuellen Missbrauch im ersten Teil und dem Leben der Opfer danach im zweiten, stellt sich die Frage, ob es zur Thematik noch einen dritten geben kann?

Meine ausführende Produzentin Jeannie Mai-Jenkins hat mir gestern von einer jungen Frau erzählt, die ihren Vergewaltiger ermordet hatte. Er schändete sie vorher nicht nur, sondern zwang sie auch zur Prostitution. Die Frau kam wegen der Ermordung ins Gefängnis. Gestern brachten die Fernsehnachrichten in den USA, dass sie zusätzlich zu einer Entschädigungszahlung von 150.000 Dollar an die Angehörigen ihres Peinigers verurteilt wurde. Jeannie war empört: "Das ist so unfair! Was ist nur so falsch an unserem Rechtssystem?" Die Auseinandersetzung damit wird vielleicht unser dritter Film.

Was kann man tun, um Sexhandel zu stoppen?

Opfer sollten ermutigt werden, ihre Stimme öffentlich zu erheben, und als Experten bzw. Expertinnen angehört werden. Die Bestrafung von Sexhändlern und Sexhändlerinnen müsste härter sein. Viele bekommen nur geringe Haftstrafen. Präventiv betrachtet ist Erziehung von großer Bedeutung. Kinder sollten schon im frühen Alter lernen, dass ein "Nein" immer auch ein "Nein" meint. Ihnen sollte man vermitteln: "Lass' dich von niemand anfassen, wenn du es nicht willst!" Es sollte auch ein Auge auf die sozialen Netzwerke und Onlinespiele geworfen werden, denn dort treiben sich auch Sexhändler oder Sexhändlerinnen herum, die versuchen, Kids in ihre Fallen zu locken. Sie wissen, wie sie die Schwächen ihrer Opfer finden. Wenn du selbst nicht schwach bist und lernst, dich selbst zu achten, gerätst du nicht in ihren Fokus.

Interview: Marc Hairapetian - Veröffentlichung honorarfrei

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