Tous Actualités
Suivre
Abonner BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

Erdogans Triumph kein gutes Signal
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

So spricht kein Demokrat. Mit der Drohung, die Gegner werden bezahlen müssen, hat der türkische Ministerpräsident und Chef der islamisch konservativen AKP, Recep Tayyip Erdogan, auf seinen für viele Beobachter überraschenden, geradezu triumphalen Wahlsieg reagiert. Gewiss, der Erfolg kommt einer persönlichen Genugtuung nach all den Korruptionsvorwürfen seiner inländischen Gegner und der Kritik aus dem Ausland an den brutalen Attacken gegen die jugendlichen Protestierer im Istanbuler Gezi-Park gleich. Aber für die weitere demokratische Entwicklung in dem Land, das Mitglied in der Nato ist und gleichberechtigter Partner auch in der Europäischen Union werden will, besagt das nichts Gutes.

Wenn der kämpferisch bekennende Muslim Erdogan seinen Sieg zum "Kampf für die Freiheit der neuen Türkei" deklariert, dann läuft das im Umkehrschluss auf die endgültige Abkehr von der bisher gültigen Staatsraison des weltlichen Kemalismus hinaus. Zumindest aus westlicher Sicht und aus der der jungen türkischen Generation entwickelt sich das Land damit zurück statt voran in eine offene plurale Gesellschaft. Wer wie Erdogan politisch Andersdenkende zu "Feinden" erklärt und dem Wahltag einen Rachefeldzug folgen lassen will, der hat von Demokratie nichts verstanden.

Und der gehört nicht in die EU. Denn er verhöhnt nicht nur demokratische Normen. Er schlägt auch die Werte in den Wind, zu denen sich die 28Mitglieder konstitutiv verpflichtet haben. Die Beitrittsverhandlungen sind ja ohnehin längst eine Farce, weil das am Ende erforderliche einstimmige Votum für eine Aufnahme der Türkei illusorisch ist. Es drängt sich aber auch nicht erst seit dieser Wahl die Frage auf, ob Erdogan es überhaupt noch ernst meint mit einem EU-Beitritt. Angesichts des Nationalismus, auf dem sein Wahlerfolg gründet, sind starke Zweifel erlaubt.

Es gibt Anlass zum Nachdenken auch ganz anderer Art. Die Höhe des Wahlsiegs hat so viele überrascht, weil sich die Blicke im Vorfeld auf die kritische Twitter-Generation Istanbuls konzentrierte und kaum ein Beobachter die konservative ländliche Bevölkerung auf der Rechnung hatte. Sie aber ist Erdogans verlässlichstes Wählerreservoir. Vergleichbares übrigens gilt für Russland. Auch dort gewinnt Wladimir Putin nicht bei den kritischen Intellektuellen Moskaus und St. Petersburgs, sondern bei den Massen auf dem Lande.

Kontakt:

BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Plus de actualités: BERLINER MORGENPOST
Plus de actualités: BERLINER MORGENPOST
  • 27.03.2014 – 22:25

    Deutscher Meister im Streiken/ ein Kommentar von Jochim Stoltenberg

    Berlin (ots) - Ver.di lässt mal wieder die Muskeln spielen. Noch nicht so richtig, aber doch schon für viele Bürger spürbar, vor allem in den Zentren der Warnstreiks, zu denen mal wieder Deutschlands größter Flughafen Frankfurt (Main) zählte, aber auch der Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen und Teilen Sachsens. In Hamburg waren vor allem Kitas betroffen, in Berlin die BSR, die Schwimmbäder sowie die Kliniken. Der ...

  • 27.03.2014 – 21:03

    Schafft endlich die Sommerzeit ab / Ein Leitartikel von Hajo Schumacher

    Berlin (ots) - Dem jungen Berliner Partygänger, der am Sonntagmorgen aus dem Klub stolpert, dürfte es egal sein, ob es elf, zwölf oder ein Uhr mittags ist. Ältere Herrschaften dagegen, deren Tagesrhythmus von halbwegs geregelter Erwerbsarbeit oder Schulzeiten bestimmt ist, reagieren zum Teil allergisch auf die 60 Minuten, die uns bei der Umstellung auf die ...

  • 26.03.2014 – 20:34

    Im Herzen der Quote arbeiten Männer/ Ein Leitartikel von Philip Volkmann-Schluck

    Berlin (ots) - Im Sinne der Quote hat sich Heiko Maas selbst als "Rückschlag" bezeichnet: Seit 15 Jahren ist der SPD-Politiker der erste männliche Justizminister, zugleich aber der erste mit verbindlichem Auftrag, den Anteil von Frauen in Führungsetagen gesetzlich zu erhöhen. Das ist kein Widerspruch, zeigt aber: Es ist ein Unterschied, eine Quote zu fordern oder ...