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Der Ungeist lebt auch in Berlin
Leitartikel von Joachim Fahrun

Berlin (ots)

Es war einer der schändlichsten Vorfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vor 20 Jahren applaudierte ein johlender Mob, als fremdenfeindliche Kriminelle in Rostock ein Asylbewerberheim in Brand steckten. Und während Bundespräsident Joachim Gauck bei der offiziellen Gedenkveranstaltung gestern mahnende Worte spricht, liegt im Berliner Ortsteil Britz ein 17-Jähriger mit brummendem Schädel auf dem Sofa. Vor wenigen Tagen wurde das Mitglied einer SPD-nahen Jugendorganisation von Neonazis krankenhausreif geschlagen. Wir neigen von Berlin aus dazu, das Problem des gewaltbereiten Rechtsextremismus in der mecklenburgischen Tiefebene oder sächsischen Wäldern zu verorten. Aber auch in der Hauptstadt gibt es Zonen, wo sich lieber nicht als Nazi-Gegner zu erkennen gibt, wem seine Gesundheit lieb ist. Die Serie von Anschlägen auf Einrichtungen und Aktivisten demokratisch-linker Organisationen und Parteien muss ein Warnsignal sein. Auch in Berlin ist es geboten, den gewalttätigen Kameradschaften entschlossener als bisher entgegenzutreten. Insbesondere nach dem Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall der unvorstellbaren Mordserie der Zwickauer Terrorzelle. Was gegen verbrecherische Rockerbanden möglich ist, sollte auch gegen politische Extremisten geschehen, die im Internet engagierte Bürger kriminalisieren und ihre Klientel damit zu Hetzjagden auf politische Gegner quasi auffordern. Deshalb ist es auch richtig, dass Innensenator Henkel die Mittel des Verfassungsschutzes für den Kampf gegen rechts aufstockt. Was möglich ist, wenn man Worten auch Taten folgen lässt, zeigte kürzlich Nordrhein-Westfalen: Razzien bei den Kameradschaften brachten enge Beziehungen zur NPD ans Licht. Und so ist es auch in Berlin sicher kein Zufall, dass diese Partei gerade in den Bezirksparlamenten in Neukölln und in Treptow-Köpenick sitzt, wo auch die "Freien Kräfte" des "Nationalen Widerstandes" besonders aktiv sind. Es gibt Gegenden in Berlin, wo am Fleischertresen NPD-Werbung klebt - und kaum jemand scheint sich daran zu stören. Doch wer die Propaganda der Neonazis liest, kommt nicht umhin, auch das eigene Verhalten zu überdenken. Sie greifen Ressentiments auf und mixen sie in ihren kruden Traum vom "nationalen Sozialismus". Viele regen sich völlig undifferenziert über "die unfähigen Politiker" auf, die das Land in den Ruin führten. Oder "die Manager, die sich nur die Taschen voll machen". Dieser Wutbürger-Jargon ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Auch solche Sprüche bereiten den Boden für rechte Übergriffe. Ausbaden müssen diese Stimmung nicht die Spitzenpolitiker, sondern viele engagierte, ehrenamtliche Freizeit-Politiker in den Stadtteilen, die ein leichtes Ziel für die Attacken der Neonazis abgeben. Oder Leute wie der junge Sozialdemokrat, der nicht mehr ohne Angst durch seinen Kiez laufen kann. Die Gegengewalt selbst ernannter Antifaschisten, die nächtens NPD-Funktionäre angreifen, ist keine Lösung. Denn eine offene Gesellschaft darf sich nie auf das Niveau ihrer Feinde herablassen.

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