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EMPA: "Der Kluge reist sicherer im Zuge - trotz Restrisiko" - 19. Wissenschaftsapéro der Empa-Akademie zum Thema «Wie sicher sind unsere Eisenbahnen?»

Dübendorf (ots)

Auch im Zeitalter moderner
Hochgeschwindigkeitszüge ist die Bahn das sicherste Verkehrsmittel, 
ein Restrisiko bleibt allerdings trotzdem bestehen. Zu diesem 
Schluss kamen drei Experten, die das Thema Sicherheit im Bahnverkehr 
aus drei Perspektiven beleuchteten: am Beispiel des ICE-Unglücks in 
Eschede, anhand des Sicherheitskonzeptes des Gotthard-Basistunnels 
sowie durch Risikovergleich verschiedener Verkehrsträger.
Dank neuen Hochgeschwindigkeitszügen wie dem französischen TGV oder 
dem deutschen ICE konkurrierte die Bahn in den letzten Jahren auf 
Mittelstrecken zunehmend mit dem Flugverkehr. Auch auf dem 
schweizerischen Schienennetz erhöht sich mit dem Fahrplanwechsel im 
Dezember die Höchstgeschwindigkeit auf gut 200 km/h. Damit stellt 
sich bei der Bahn immer stärker die Frage nach der Sicherheit. «Wie 
sicher sind unsere Eisenbahnen?» lautete das Thema des 19. 
Wissenschaftsapéros der Empa-Akademie am 23. August.
Unglück ohne Schuldige
Vorerst unbemerkt bricht am 3. Juni 1998 beim ICE «Willhelm 
Röntgen», der mit 200 km/h Richtung Hamburg unterwegs ist, ein 
Radreifen. Das defekte Teil verklemmt sich unglücklich in einer 
Weiche, stellt diese um. Der hintere Teil des Zugs wird auf das 
Nachbargleis umgeleitet, der ICE rast gleichzeitig auf zwei Gleisen. 
Bei Eschede kollidiert er mit einem Brückenpfeiler. Die Folgen sind 
verheerend: Hundert Menschen sterben, ebenso viele werden verletzt. 
Laut Rolf Kieselbach, ehemaliger Experte für Schadensanalyse an der 
Empa, besitzt ein ICE bei Spitzengeschwindigkeit von 280 km/h eine 
kinetische Energie von drei Gigajoule. «Dies entspricht einer 
Sprengkraft von zirka 700 kg TNT». Im Prozess zu diesem schwersten 
Unglück in der deutschen Eisenbahngeschichte wurde die Empa als 
Gutachterin beigezogen. Kieselbach, der diese Untersuchungen damals 
leitete, überprüfte, weshalb es bei besagtem Radreifen zu einem 
Ermüdungsbruch kommen konnte. Bei den Prüfungen im Labor und den 
Berechnungen fand er jedoch weder Mängel in der Konstruktion des 
Rades noch beim verwendeten Werkstoff. Ebenso wenig konnte er einen 
auslösenden Fehler an der Bruchstelle finden. Zwar stellte er 
kleinste Anrisse fest, diese fanden sich jedoch auch bei vielen 
anderen der 5000 bei ICEs demontierten Radreifen. Aber bei keinem 
der Radreifen führten diese Anrisse zu einem so genannten 
Schwingbruch. Für Kieselbach stand deshalb abschliessend fest: «Aus 
meiner Sicht ist der Fall ein Beispiel für das so genannte 
Restrisiko». Der Prozess wurde denn auch nach zwei Monaten 
eingestellt. Bei heutigen ICE-Kompositionen werden Vollräder ohne 
Radreifen eingesetzt.
Einfach und sicher
Mit einem Restrisiko müssen auch die IngenieurInnen der Alptransit 
Gotthard AG rechnen. Dieses werde beim dereinst längsten 
Eisenbahntunnel der Welt jedoch kleiner sein als auf dem Rest der 
SBB-Strecke, erläuterte der zweite Referent. Christophe Kauer, bei 
der Alptransit zuständig für Betriebssicherheit, unterstrich, dass 
höchstmögliche Sicherheit nur erreicht werden könne, wenn diese 
bereits in der Planung berücksichtigt werde. Dies gelte 
gleichermassen für den Bau, die Beschaffung von Infrastruktur und 
Rollmaterial wie auch für Betriebs-, Alarm- und Rettungskonzepte. 
«Höchste Sicherheit nur in einem Bereich macht keinen Sinn», betonte 
Kauer, die Sicherheitsinvestitionen müssten vielmehr aufeinander 
abgestimmt werden. Beim Gotthard-Basistunnel hat man sich für zwei 
getrennte Tunnelröhren entschieden, die alle 325 m über so genannte 
Querschläge verbunden sind. Jede Röhre enthält zwei 
«Multifunktionsstellen», wo Passagiere den Zug in kurzer Zeit über 
beleuchtete und belüftete Perrons verlassen können. Von dort können 
sie sich, falls nötig, auch in der benachbarten Röhre in Sicherheit 
bringen. Zudem besitzt der 57 km lange Basistunnel lediglich vier 
Weichen. Beim übrigen Schienennetz der SBB sind es pro Kilometer 1,7 
Weichen, welche erfahrungsgemäss die häufigste Ursache für 
Entgleisungen sind. Grundsätzlich müssen die Anlagen so einfach und 
robust wie möglich sein und beim Einbau soll auf Schnickschnack 
verzichtet werden: nur soviel wie nötig, aber so wenig wie möglich. 
Um Unfälle im Tunnel zu vermeiden, sollen dereinst nur «gesunde», 
das heisst voll funktionsfähige Züge hineinfahren dürfen. 
Ermöglichen soll dies ein System zur Früherkennung von Schäden. 
Allerdings musste Kauer einräumen, dass ein solches von den 
Herstellern noch nicht angeboten wird. Auf dem SBB-Netz ist es denn 
bis heute erst möglich, verklemmte und überhitzte Bremsen frühzeitig 
zu erkennen. Noch nicht realisiert ist ebenfalls der Plan, während 
der Tunneldurchfahrt die heutigen Notbremsen durch eine 
Notalarmierung zu ersetzen. Damit soll sichergestellt werden, dass 
die Zugskomposition nicht von PassagierInnen an einer gefährlichen 
Stelle im Tunnel zum Stillstand gebracht werden kann. «Bezüglich 
Sicherheit will die Alptransit in erster Linie Ereignisse 
verhindern, oder die Selbstrettung ermöglichen», beschloss 
Christophe Kauer sein Referat. Fremdrettung ist in einem 57 km 
langen Tunnel äusserst schwierig.
Fehlende Sicherheitsziele
Als Passagier hat er das Gefühl, die Bahn sei sehr sicher, eröffnete 
Matthias Müller sein Referat. Dieser persönliche Eindruck decke sich 
auch mit seinen Erfahrungen als Risikoingenieur bei der 
Rückversicherung SwissRe. Der Blick auf die Unfall-Ursachen 
überrascht: Mehr als die Hälfte der Eisenbahnunfälle werden durch 
Aussenstehende verursacht. Jeder zweite Unfall bedeutet eine 
Kollision mit einem anderen Fahrzeug oder einer Person. Jeder fünfte 
Eisenbahnunfall kann auf technische Probleme bei Infrastruktur oder 
Rollmaterial zurückgeführt werden und noch jeder zehnte auf 
organisatorische Probleme, wie falsch gestellte Weichen. Für die 
Bahn spreche zusätzlich, dass der Schienenverkehr ähnlich stark 
überwacht werde wie der Luftverkehr, stärker jedenfalls als die 
Strasse. Hingegen sei das potentielle Ausmass eines Unglücks bei 
Zügen mit bis zu 1000 Passagieren natürlich ungleich grösser. Der 
Vergleich der Anzahl Toten und Verletzten bei den drei 
Verkehrsträgern ergebe stets das gleiche Bild, fasste Risikoexperte 
Müller zusammen. Auf der Schiene reisen Passagiere etwas sicherer 
als in der Luft und - je nach dem, welche Zahlenbasis man verwendet 
- 3- bis 240-mal sicherer als auf der Strasse. Diese Reihenfolge 
ändert sich auch nicht, wenn Faktoren wie zum Beispiel 
Transportkapazität, Energieverbrauch oder Umwelteinflüsse 
berücksichtigt werden. Trotz all dieser Sicherheits-Vorteile der 
Bahn gelte, was bereits die Vorredner betont hatten: «Die Bahn ist 
sicher - ein Restrisiko aber bleibt».
Redaktion
Matthias Kündig, Abt. Kommunikation/Marketing, Tel. + 41 44 823 43 
96,  Matthias.Kuendig@empa.ch
Remigius Nideröst, Abt. Kommunikation/Marketing, Tel. +41 44 823 45 
98,  Remigius.Nideroest@empa.ch
Was ist der Wissenschaftsapéro?
An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftsapéros greift die 
Empa-Akademie fachlich und gesellschaftlich relevante Themen auf. 
Jeweils drei bis vier ReferentInnen aus Forschung, Politik und 
Wirtschaft präsentieren in ihren Vorträgen Ergebnisse und Absichten 
zu dem behandlten Thema. Anschliessend stehen sie auch den nicht mit 
dem Fach vertrauten Gästen entweder in der Diskussionsrunde oder 
beim Apéro Rede und Antwort.
Der nächste Wissenschaftsapéro findet statt am 18. Oktober 2004 zum 
Thema «Scherben, Schlacken, Plastikflaschen - der Mensch im Spiegel 
seiner Abfälle».
Ort: Empa, Dübendorf, Zeit: 16.30 Uhr. Es ist keine Anmeldung 
erforderlich.

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