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Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse

SNF: Organspende: Eigenverantwortung in der Deutschschweiz, Gemeinschaftssinn im Tessin

Bern (ots)

Unterschiedliche Organspenderaten in den
Sprachregionen haben kulturelle Gründe
Im Tessin werden dreimal so viele Organe gespendet wie in der 
Deutschschweiz. Dies liegt nicht am unterschiedlichen 
Informationsstand der Landesteile, sondern hat kulturelle Gründe: 
In der Deutschschweiz wird Individualismus und Eigenverantwortung 
gross geschrieben, im Tessin ist die Gemeinschaft wichtig. Die 
Studie des Nationalen Forschungsprogramms «Implantate und 
Transplantate» zeigt auf, wie sich kulturelle Unterschiede auf das 
Gesundheitswesen auswirken.
In der Schweiz herrscht akuter Organmangel: 1159 Personen 
standen 2005 auf der Warteliste für eine Transplantation, doch nur 
413 von ihnen erhielten in diesem Jahr ein Organ, 38 Menschen 
starben. Die so genannte Spenderrate lag bei 12 Spendern pro 
Million Einwohner. Aufgeschlüsselt nach den drei Landesteilen 
zeigen sich grosse Unterschiede: In der Deutschschweiz liegt die 
Rate bei 11 Spendern, in der Romandie bei 16, im Tessin bei 35. 
Damit befindet sich das Tessin nur wenig hinter Spanien, das in 
Europa mit einer Rate von 39 Spendern pro Million Einwohner die 
Spitzenposition einnimmt.
Ein Team von Kommunikationswissenschaftlern um Peter J. Schulz 
vom Health Care Communication Laboratory der Universität Lugano hat 
im Nationalen Forschungsprogramm «Implantate und Transplantate» 
(NFP 46) nach den Gründen für diese Unterschiede gesucht. Basis für 
die Studie bildet eine repräsentative Umfrage unter 1500 Personen 
aus allen drei Sprachregionen. «Die Ergebnisse haben uns 
überrascht», erklärt Schulz. Bisher ging man nämlich davon aus, 
dass die hohe Tessiner Spenderrate vor allem mit der guten 
Überzeugungsarbeit der dortigen Ärzteschaft zu tun hat. Die Studie 
zeigt nun, dass es zusätzliche, tiefere Gründe gibt. Als relevanter 
Faktor konnten in der Umfrage nämlich die kulturellen Unterschiede 
zwischen den Landesteilen isoliert werden. Deutlich wurde dies vor 
allem bei Aussagen über Gesellschaft und Moral sowie über die 
Einstellungen zu Leben und Tod. Dabei zeigten sich folgende 
Unterschiede:
•In der Deutschschweiz ist die Bevölkerung zwar am besten über 
die Organspende informiert, doch sie ist zur Organspende weniger 
positiv eingestellt als die anderen beiden Landesteile. So haben 
nur 13.1 Prozent einen Organspenderausweis, und die Bereitschaft, 
Organe zu spenden ist mit 53.4 Prozent deutlich tiefer als in der 
Romandie. Peter J. Schulz erklärt dies damit, dass in 
Gesundheitsfragen Eigenverant-wortung und Individualismus für 
überdurchschnittlich viele der Befragten eine wichtige Rolle 
spielen. So hängt die Gesundheit für Deutschschweizer stärker vom 
eigenen Verhalten und weniger vom Alter und vom Stress ab als für 
Romands und Tessiner. Ferner sind in der Deutschschweiz emotionale 
Vorbehalte gegenüber der Organspende wesentlich stärker ausgeprägt. 
Beispielsweise war die Befürchtung, mit einem Organspenderausweis 
medizinisch weniger gut behandelt zu werden, in der Deutschschweiz 
deutlich stärker verbreitet als in der Romandie und im Tessin.
•Im Tessin ist das Wissen über Transplantationen geringer als in 
den anderen Landesteilen. Überraschenderweise haben nur 15.7 
Prozent der Befragten einen Organspenderausweis, kaum mehr als in 
der Deutschschweiz. Die Bereitschaft, Organe zu spenden, ist mit 
50.4 Prozent sogar tiefer. Eine Erklärung für die tiefe 
Spendebereitschaft könnte sein, dass relativ viele aussagten, der 
Gedanke an eine Organspende erinnere sie an den Tod und mache 
deshalb Angst. Anderseits gaben überdurchschnittlich viele Befragte 
an, sie hätten das Bedürfnis, sich gegen Notfälle abzusichern – und 
zwar nicht einfach jeder auf eigene Faust sondern auch gegenseitig. 
Diese Bereitschaft, sich in der Not beizustehen, sei eine wichtige 
Voraussetzung für die hohe Spenderrate, folgern die Forschenden.
•Eine Mittelposition nimmt die Romandie ein. Hier haben zwar am 
meisten Leute einen Organspenderausweis (23.1 Prozent) und 71.9 
Prozent wären bereit, Organe zu spenden. Trotzdem ist das Wissen 
über die Organtransplantation nicht so gross wie in der 
Deutschschweiz, und Information übt einen nachweisbar positiven 
Einfluss auf die Spendebereitschaft aus. Wichtig sind in der 
Westschweiz aber auch soziale Kontakte und positive emotionale 
Einstellungen. Die Romands scheinen ihre Entscheide über eine 
Organspende also am ausgewogensten zu fällen.
Landesteile unterschiedlich ansprechen 
Bisher gab es im Bereich der Gesundheitskommunikation keine 
Untersuchungen zur kulturellen Mikro-Diversität zwischen den 
Landesteilen, wie Peter J. Schulz das Phänomen nennt. Entsprechend 
interessant sind seine Ergebnisse für künftige 
Informationskampagnen zur Organspende. «Es gibt in der Schweiz ein 
hohes Potenzial an Personen, die bereit wären, Organe zu 
spenden», erklärt Schulz, «doch man muss diese Leute je nach 
Landesteil unterschiedlich ansprechen.»
Am geeignetsten für klassische Kampagnen, die auf Aufklärung und 
Information beruhen, ist demnach die Romandie. Im Tessin dagegen 
würden solche Bemühungen verpuffen. Schulz empfiehlt deshalb für 
die Südschweiz lokale, community-basierte Programme. In der 
Deutschschweiz könnte laut Schulz das zwanglose Gespräch beim 
Hausarzt den grössten Effekt haben. Ausserdem empfiehlt er, mit 
gezielten Informationskampagnen das Unbehagen der Deutschschweizer 
gegenüber Organspenden anzusprechen.
Mit dem neuen Transplantationsgesetz, das Anfang 2007 in Kraft 
tritt, wird das Bundesamt für Gesundheit für die Information der 
Bevölkerung zuständig sein. Ein entsprechendes Informationsportal 
wird laut BAG zurzeit aufgebaut.
Publikation Peter J. Schulz, Kent Nakamoto, David Brinberg und 
Joachim Haes, More than Nation and Knowledge: Cultural 
Micro-Diversity and Organ Donation in Switzerland, Patient 
Education 
and Counseling (erscheint demnächst).
Weitere Auskünfte:
Prof. Dr. Peter J. Schulz
University of Lugano, Faculty of Communication Sciences
Health Care Communication Laboratory 
Via G. Buffi 13 , CH- 6900 Lugano
Tel:  +41 (0)58 666 47 24
Fax: +41 (0)58 666 46 47
E-Mail:  schulzp@lu.unisi.ch
www.hcc-lab.org
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: 
www.snf.ch/medienmitteilung

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