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Staatskanzlei Luzern

Aus juristischer Sicht betrachtet: Wie autonom sind die Gemeinden?

Luzern (ots)

Die Autonomie der Gemeinden ist ein zentraler
Begriff im Zusammenhang mit der Gemeindereform 2000+. Mit der neuen
Aufgabenzuteilung soll die Autonomie der Gemeinden gestärkt und das
Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden partnerschaftlicher werden.
Was aber heisst Gemeindeautonomie? Die Rechtsprechung hat Antworten.
Die landläufige Meinung geht oft davon aus, dass zwischen Kanton
und Gemeinden ein ähnliches Verhältnis besteht wie zwischen Bund und
Kanton. Diese Vorstellung korrigiert Kathrin Graber, Juristin im Amt
für Gemeinden (AfG). Sie verweist auf die Organisation der
Bundesversammlung, in der die Kantone mit dem Ständerat vertreten
sind. "Zwischen Kanton und Gemeinden gibt es kein vergleichbares
Gremium. Allein schon daran zeigt sich, dass das Verhältnis
Kanton-Gemeinden ein anderes ist." Das Verhältnis der Kantone
gegenüber dem Bund sei stärker, sagt sie und verweist auf die
Bundesverfassung, in der festgehalten wird, dass die
Gemeindeautonomie durch das Kantonsrecht gewährleistet ist. Das
heisst im Klartext, dass es den Kantonen überlassen ist zu
entscheiden, welche Aufgaben sie den Gemeinden zur autonomen Regelung
überlassen wollen und welche sie selber wahrnehmen. Von
Gemeindeautonomie wird in der Sprache der Juristen gesprochen, wenn
den Gemeinden "relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit" zukommt.
Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens haben die Gemeinden im Kanton
Luzern das Recht, ihre Angelegenheiten selbstständig zu besorgen.
Der Kanton trägt Verantwortung
Die Gemeinden sind vom Kanton eingesetzte öffentlich-rechtliche
Körperschaften. Mit dieser Definition der Gemeinden in Rechtsprechung
und Literatur wird den Kantonen gegenüber den Gemeinden viel Macht
eingeräumt. Wie lässt sich diese rechtfertigen? Kathrin Graber: "Der
Staat hat nicht nur Rechte, sondern auch Verantwortung und Pflichten.
Er setzt die Gemeinden ein und gibt ihnen Aufgaben, die sie autonom
erfüllen können. Gleichzeitig hat er aber auch die Pflicht zu
kontrollieren, dass die übertragenen Aufgaben im Sinne der kantonalen
und eidgenössischen Rechtsordnung korrekt wahrgenommen werden." So
seien die Gemeinden beispielsweise befugt, ein Bau- und
Zonenreglement zu erlassen und ihr Gebiet in verschiedene Zonen
einzuteilen. Die Wahrnehmung der Staatsaufsicht bedeute, dass der
Regierungsrat das Reglement nach Rechts- und Zweckmässigkeit
überprüfe. Einschreiten könnte er beispielsweise, wenn das Reglement
gegen die Interessen des Kantons oder einer Nachbargemeinde
verstosse: "Diesen Auftrag erfüllt der Kanton also zum Schutz des
öffentlichen Interesses, zum Schutz der Gemeinden und - aus Gründen
der Haftung - zum Schutz von sich selber." Eine anderer Grund für
diese "Macht" des Kantons ist die sogenannte
Verteilungsgerechtigkeit. Der Kanton hat dafür zu sorgen, dass
zwischen Regionen und Gemeinden ein gewisses Gleichgewicht besteht.
Kathrin Graber verweist als Beispiel auf das Sozialrecht: "Es kann
dem Kanton nicht gleichgültig sein, nach welchen Kriterien
Sozialhilfe ausgeübt wird. Folge davon wäre, dass der Umfang der
Sozialhilfe in jeder Gemeinde anders aussähe. Die Mindestrichtlinien
des Kantons garantieren ein gewisses Gleichgewicht über den gesamten
Kanton hinweg."
Wer haftet?
Wie steht es um die Verantwortung des Kantons bei finanziellen
Angelegenheiten. Haftet er in Situationen, in denen eine Gemeinde
nicht mehr zahlungsfähig ist? Rechtlich sei diese Frage umstritten
und nicht eindeutig geregelt, weiss Kathrin Graber: Es gebe
juristische Meinungen, die die Haftung des Kantons bejahten. Andere
würden sich auf das Bundesgesetz über die Schuldbetreibung gegen
Gemeinden berufen, wonach die Gemeinden Betreibungs- und
Haftungssubjekte seien. Graber: "Davon abgeleitet wird die
eigenständige Haftung der Gemeinden. In dieser Frage erhoffen sich
Juristinnen und Juristen Antwort aus dem Entscheid "Leukerbad".
Dieser lässt zwar noch auf sich warten; für die zukünftige
Rechtsprechung wird viel davon abhängen."
Neue Fragestellungen
Geht es nach den Ideen der Gemeindereform 2000", soll das
Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden partnerschaftlicher werden .
"Kanton und Einwohnergemeinden arbeiten partnerschaftlich zusammen",
steht in der teilrevidierten Staatsverfassung, die ab dem 1. Januar
2002 in Kraft ist. Bei einem partnerschaftlicheren Verhältnis gibt
der Kanton auch Verantwortung an die Gemeinden ab. Wie ist zu
verhindern, dass auch im Kanton Luzern ein Fall "Leukerbad" entsteht?
"Sicher ist", so Kathrin Graber, "dass der Kanton mit dieser
Entwicklung vor neue rechtliche Fragen gestellt wird." Im Moment
befasse sich eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern von Kanton und
Gemeinden mit der neuen Aufgabenzuteilung (siehe auch Kasten). Dabei
gehe es genau um diese Thematik. Es werde beraten, in welchem Ausmass
der Kanton in Zukunft seine Aufsicht unter der Option
"Partnerschaftlichkeit" wahrnehmen soll. "Es ist denkbar, dass der
Kanton auf bestimmte Vorprüfungen oder Genehmigungen von
Gemeindereglementen verzichtet. Denn die Kontrolle des Kantons ist
kein Selbstzweck. Wenn die Gemeinden die Voraussetzungen haben, um
ihre Aufgaben selbstständig zu lösen, dann erübrigt sich auch die
Kontrolle."
Einen ähnlichen Gesinnungswandel wie im Kanton Luzern in Sachen
Gemeindeautonomie stellt die Juristin auch in anderen Kantonen fest.
Immer selbstverständlicher sei die Meinung, dass die Gemeinden heute
in der Lage sind, kommunale Aufgaben selbstständig wahrzunehmen. Im
Kanton Luzern wird die Arbeitsgruppe im Rahmen des Gemeindegesetzes
einen Vorschlag ausarbeiten und ihn an verschiedenen Anlässen einem
breiteren Kreis zur Diskussion vorlegen. Danach wird er überarbeitet
und in die Vernehmlassung geschickt.
Bernadette Kurmann
(Kasten)
   Zur Person
Kathrin Graber ist Juristin beim Amt für Gemeinden und Mitglied
der Arbeitsgruppe, die sich im Rahmen der Aufgabenzuteilung mit dem
zukünftigen Gemeindegesetz befasst. In dieser Eigenschaft hat sie
eine Zusammenfassung der bestehenden Literatur und Rechtsprechung zur
Gemeindeautonomie erstellt. Die Arbeit stellt den Ist-Zustand dar und
bildet damit eine ideale Basis zur Diskussion der Gemeindeautonomie,
wie diese in Zukunft ausgestaltet sein soll.

Kontakt:

Bernadette Kurmann
Amt für Gemeinden
Tel. +41/41/228'64'83

NB.
Von Kathrin Graber gibt es ein digitales Porträtfoto Es kann per
E-mail bezogen werden: afg@lu.ch

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