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Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse

SNF: Fussball und Gewalt in der Schweiz

Bern (ots)

Wie militante Fussballfans denken
Die Ultras dominieren die Szene der militanten Fussballfans in der
Schweiz. Für die in der Regel gut integrierten jungen Schweizer 
Bürger steht die bedingungslose Identifikation mit ihrem Klub und 
ihrer Stadt im Vordergrund. Gewalt ist für sie, wie sie betonen, kein
Selbstzweck, sondern wird nur ausgeübt, wenn sie sich provoziert 
fühlten. Rassistische und rechtsextreme Haltungen sind im Vergleich 
zu den neunziger Jahren im Rückgang begriffen. An der 
Nationalmannschaft sind die Ultras kaum interessiert.
Militante Fussballfans haben keinen guten Ruf. Wenn es vor und 
nach Spielen der nationalen Fussballmeisterschaft zu gewalttätigen 
Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen oder mit der
Polizei kommt, taucht oft das Bild des blindwütigen Chaoten auf, der 
den Sport nur als Vorwand für seine Gewaltexzesse benutzt. Doch wer 
ist das eigentlich, der militante Fussballfan?
Der Neuenburger Sozialwissenschaftler Thomas Busset und sein Team 
gehen dieser Frage in einer im Rahmen des Nationalen 
Forschungsprogramms «Rechtsextremismus - Ursachen und 
Gegenmassnahmen» (NFP 40+) erstellten Studie nach. Die Basis dafür 
bildete die Untersuchung der militanten Fanszene dreier Fussballklubs
der Super und Challenge League (FC Basel, BSC Young Boys, Servette 
FC). Die Wissenschaftler beobachteten diese eingehend während 
insgesamt sechzig Spielen (je zur Hälfte Heim- und Auswärtsspiele) 
und führten mit dreissig Anhängern aus dem harten Kern vertiefte 
Interviews.
Kaum Interesse an der Nationalmannschaft
Nach Thomas Busset sind in der militanten Fanszene die «Ultras» 
vorherrschend, nicht mehr wie in den neunziger Jahren die Hooligans, 
welche die gewalttätige Auseinandersetzung oft um jeden Preis suchten
(die «dritte Halbzeit»). Für die hauptsächlich zwischen 15 und 25 
Jahre alten, aus allen sozialen Schichten stammenden männlichen 
Jugendlichen steht die bedingungslose Unterstützung ihres Klubs und 
ihrer Stadt oder Region im Vordergrund.
Sie feiern ihre Mannschaft mit spektakulären choreographischen 
Aktionen, wozu die mit grossem Aufwand hergestellten 
Riesentransparente, rhythmische Schlachtgesänge und das Abbrennen von
bengalischen Feuern gehören. So wie die Ultras sich definieren, 
wenden sie Gewalt nur dann an, wenn sie sich provoziert fühlen. Unter
den militanten Fans sind rassistische und rechtsextreme Haltungen im 
Rückgang begriffen. Für die Ultras kommt die aktive Unterstützung der
schweizerischen Nationalmannschaft nicht in Frage, weil sie dann mit 
den Fans gegnerischer Klubs gemeinsame Sache machen müssten.
Lokalpatriotismus und Antikapitalismus
Neben ihrer lokalpatriotischen, zuweilen gar lokalchauvinistischen 
Gesinnung zeichnen sich die untersuchten Ultras ferner durch ihre 
Staatsangehörigkeit aus. Im Unterschied zu den Akteuren auf dem 
Rasen, die aus der ganzen Welt, neuerdings immer häufiger aus dem 
afrikanischen Kontinent kommen, sind die Ultras mehrheitlich aus der 
Stadt oder Gegend ihres Klubs stammende, überwiegend gut integrierte 
Schweizer Bürger. Und sie sind fast ausnahmslos männlichen 
Geschlechts. Frauen haben in ihren Augen in ihrer Szene nichts 
verloren und werden gar als Bedrohung ihres «Männerbundes» 
wahrgenommen.
Die Ultras lassen sich schliesslich durch eine kritische Haltung 
gegenüber dem kommerzialisierten Fussballgeschäft charakterisieren. 
Ihrer Ansicht nach ist der Fussball zu einem durch das Grosskapital 
regierten Business geworden; den Spielern, welche die Vereine immer 
schneller wechseln, sei der eigene Profit wichtiger als das Wohl des 
Klubs. Die Haltung gegenüber den Spielern ist denn auch ambivalent; 
deren Unterstützung kann schnell in Ablehnung und Verspottung 
umschlagen. Im wechselhaften Fussballgeschäft sehen sich die 
militanten Fans gerne als stabiles Element: Ohne sie gäbe es keine 
Kontinuität und hätte ihr Klub keine Zukunft. Mit ihren Choreografien
feiern die Ultras darum auch sich selbst.
Publikation (ab 15. Mai in den Buchhandlungen erhältlich):
Thomas Busset, Christophe Jaccoud, Jean-Philippe Dubey, Dominique 
Malatesta (Hg.): Le football à l'épreuve de la violence et de 
l'extrémisme. Verlag Antipodes, Lausanne 2008. 300 S., 34 CHF.
Qualitative Sozialforschung
Thomas Bussets Untersuchung orientiert sich methodisch an den 
Verfahren der qualitativen Sozialforschung. Während die quantitative 
Forschung beispielsweise mit standardisierten schriftlichen 
Fragebogen arbeitet, benutzt die qualitative Forschung etwa das 
offene Face-to-face-Interview und die teilnehmende Beobachtung. Und 
anders als die quantitative Forschung, die über eine möglichst grosse
Stichprobe und statistische Berechnungen Häufigkeitsaussagen 
anstrebt, versucht die qualitative Sozialforschung, mit Bedacht 
ausgewählte Einzelfälle umfassend zu deuten. Indem sie auf die 
Beschreibung, Charakterisierung und Typisierung von 
gesellschaftlichen Phänomenen zielt, gelangt sie zu allgemeinen 
Aussagen über deren strukturelle Beschaffenheit.
Nationales Forschungsprogramm «Rechtsextremismus - Ursachen und 
Gegenmassnahmen» (NFP 40+)
Das vom Bundesrat im Jahr 2003 in Auftrag gegebene NFP 40+ gewinnt 
neue Einsichten über Entstehungsbedingungen, Erscheinungsformen, 
Verbreitung und Konsequenzen von rechtsextremen Aktivitäten und 
Einstellungen in der Schweiz. Die Forschungsergebnisse schaffen die 
Grundlagen für zukunftsorientierte Strategien im Umgang mit 
Rechtsextremismus auf kommunaler, kantonaler sowie auf Bundesebene. 
Ausserdem gewährleistet das Programm den Anschluss der 
Rechtsextremismusforschung in der Schweiz an entsprechende 
Forschungen in anderen Ländern.
www.nfp40plus.ch
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: http://www.snf.ch > D > 
Medien > Medienmitteilungen

Kontakt:

Thomas Busset
Centre international d'étude du sport (CIES)
Universität Neuenburg
Palais DuPeyrou
CH-2000 Neuenburg
Tel. +41 (0)32 718 39 00
Fax +41 (0)32 718 39 01
E-Mail: thomas.busset@unine.ch

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