Alle Storys
Folgen
Keine Story von SWI swissinfo.ch mehr verpassen.

SWI swissinfo.ch

Media Service: Streik bei der Nachrichtenagentur: "Geld verdienen war nicht das primäre Ziel"

Bern (ots)

Der Streik bei der nationalen Nachrichtenagentur SDA infolge eines Stellenabbaus ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Finanzierung des Qualitätsjournalismus in der Krise steckt. Anstatt die SDA Privaten zu überlassen, sollte man eine Genossenschaft oder eine Stiftung aus ihr machen, sagt ein Schweizer Medienexperte. Die Schweiz gehört zu den wenigen westlichen Demokratien, in denen die Medien keine direkte staatliche Unterstützung erhalten. Hier beschränkt sich der Staat auf eine indirekte Finanzhilfe, indem er den Verlagen eine Vergünstigung für die Zustellung der Zeitungen durch die Post gewährt. Aber sinkende Abonnementszahlen und rückläufige Werbeeinnahmen setzten den privaten Qualitätsmedien zu, sagt Manuel Puppis*. Er ist Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen an der Universität Freiburg.

swissinfo.ch: In der Schweiz wird nur selten gestreikt, weil hier die Sozialpartnerschaft funktioniert - also die lösungsorientierte Verhandlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Hat es Sie überrascht, dass jetzt sogar Journalisten auf die Strasse gingen? M.P.: In den letzten Jahren hat es bei vielen Verlagen Sparmassnahmen und Entlassungen gegeben, ohne dass die Belegschaft deswegen gestreikt hätte. Was jetzt bei der SDA passiert ist, hat tatsächlich Seltenheitswert. swissinfo.ch: Die streikenden Journalisten der SDA werden nicht nur vom linken politischen Lager unterstützt. Der angekündigte Stellenabbau hat in einer breiten Öffentlichkeit für viel Empörung gesorgt. Woran liegt das? M.P.: Die SDA stellt die Grundversorgung aller Medien in der Schweiz mit Nachrichten sicher - sie bedient nationale und regionale, private und die öffentlichen Medien der SRG [zu der auch swissinfo.ch gehört, N.d.R,]. Und sie macht dies ausgewogen, gestützt auf Fakten. Auf diesen Grundstock sind viele Medien angewiesen. Das ist der Hauptgrund für die öffentliche Kontroverse.

swissinfo.ch: Weshalb ist es bei der SDA nicht gelungen, den Konflikt sozialpartnerschaftlich zu lösen und einen Streik zu verhindern? M.P.: Ich kann nur vermuten, dass die Unzufriedenheit über das Vorgehen intern gross ist. Die Massnahme, dass alle Journalisten im Alter von 60 Jahren und mehr entlassen und nicht etwa frühpensioniert werden, kommt sozialpartnerschaftlich nicht sehr gut an. Fragen wirft auch die Fusion auf, die zwischen der SDA und der Bildagentur Keystone geplant ist. Zum Beispiel, ob die SDA auf Profit getrimmt werden muss, um eine attraktive Braut für diesen Zusammenschluss zu sein. Aus den Medien vernehme ich ausserdem, dass die Äusserungen des CEO in einem Zeitungsinterview das Fass zum Überlaufen brachten. swissinfo.ch: Sie sprechen davon, dass der SDA-CEO, Markus Schwab, gegenüber der NZZ am Sonntag sagte, er sei einzig und allein den Aktionären etwas schuldig. Müsste die SDA nicht auch der Qualität verpflichtet sein. M.P.: Grundsätzlich schon. Aber hier kommt wie bei privaten Medien der Konflikt zwischen publizistischen und ökonomischen Zielen zum Ausdruck. swissinfo.ch: In ihrer 124-jährigen Geschichte hat die SDA noch nie eine Dividende ausgeschüttet. Warum nicht? M.P.: Mit der Gründung der SDA wurde nicht primär das Ziel verfolgt, Geld zu verdienen, sondern die Nachrichtenversorgung in der Schweiz sicherzustellen. Die Verlage hatten eine Lösung gefunden, mit der sie weniger abhängig von den grossen internationalen Nachrichtenagenturen im Ausland waren. Mit einer eigenen Nachrichtenagentur konnte man auch die Preise selbst festlegen. Davon profitierten alle Medien.

swissinfo.ch: Der CEO hat den Aktionären für 2021 eine Dividende in Aussicht gestellt. Weshalb soll die SDA jetzt plötzlich Gewinn abwerfen? M.P.: Keystone hat schon bisher eine Dividende ausgeschüttet. Dies erwarten die Eigentümer wohl auch vom Zusammenschluss SDA-Keystone. Von der SDA wird aber nicht nur erwartet, dass sie Gewinne erzielt, sondern auch, dass sie spart. swissinfo.ch: Kritiker der gewinnorientierten Strategie sagen, Information sei ein öffentliches Gut und keine Ware, die man nicht einfach verscherbeln dürfe. Haben sie recht? M.P.: Informationen über Politik und Gesellschaft spielen für unser Zusammenleben eine so wichtige Rolle, dass der gesellschaftliche Nutzen viel höher ist, als die individuelle Zahlungsbereitschaft. Zudem sind die Werbeeinnahmen bei Zeitungen in den letzten Jahren massiv eingebrochen. Das macht die Finanzierung von Journalismus sehr schwierig. Deshalb kann man die Frage stellen, ob sich der Staat beteiligen muss. swissinfo.ch: Und wie lautet Ihre Antwort? M.P.: Mit der heutigen Rechtsform der SDA, bei der nicht klar ist, ob dann mit öffentlichem Geld Dividenden ausgeschüttet würden, ob es eine Trennung zwischen journalistischen und anderen Dienstleistungen gibt, darf eine Subvention nicht in Frage kommen. swissinfo.ch: An welche andere Rechtsform denken Sie? M.P.: Zum Beispiel an eine genossenschaftsähnliche Organisation oder eine Stiftung mit klar getrennter Buchführung, welche gewährleistet, dass das Geld des Staats in den Journalismus fliesst und nicht für Gewinne ausgeschüttet wird. swissinfo.ch: Die Schweiz steht mit diesem Dilemma nicht allein da. Alle Demokratien westlicher Prägung sind mit der Finanzierungskrise des Journalismus konfrontiert. Welche Länder haben eine gute Lösung gefunden? M.P.: Neben der Unterstützung von Nachrichtenagenturen sollte man vor allem über eine zukunftsgerichtete Medienförderung nachdenken. Eine solche gibt es zum Beispiel in Dänemark. Dort wird festgelegt, welche Bedingungen eine Redaktion erfüllen muss, um Subventionen für die Produktion journalistischer Inhalte zu erhalten. Zum Beispiel eine Mindestzahl von Vollzeit-Stellen, einen bestimmten Anteil eigener regionaler Produktion, usw. Die staatliche Unterstützung wird also nicht an den journalistischen Inhalten festgemacht, so dass die Unabhängigkeit gewährleistet ist. swissinfo.ch: Welches Land sollte sich die Schweiz nicht zum Vorbild nehmen? M.P.: Ein ganz schlechtes Beispiel ist Neuseeland. Das Land hat in den 1990er-Jahren das öffentliche Fernsehen privatisiert. Dieses hat heute weniger als 5% öffentliche Einnahmen, wodurch die Eigenproduktionen massiv zurückgegangen sind. Die neuseeländische Nachrichtenagentur stellte ihren Betrieb 2011 ein. Seither wird Neuseeland von drei australischen Firmen mit Nachrichten versorgt. Wenn uns etwas daran liegt, dass auch im Inland Nachrichten produziert werden und wir nicht von ausländischen Produzenten abhängig werden, dann sollten wir nicht den gleichen Weg gehen. *Manuel Puppis ist Professor für Mediensysteme und Medienstrukturen an der Universität Freiburg und Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission EMEK. Er vertritt hier seine persönliche Meinung als Wissenschaftler.

Kontakt:

Peter Siegenthaler
Peter.Siegenthaler@swissinfo.ch
+41 31 350 95 37

Weitere Storys: SWI swissinfo.ch
Weitere Storys: SWI swissinfo.ch
  • 02.02.2018 – 13:47

    Media Service: Mehr Sauberkeit in den Städten dank Digitaltechnik

    Bern (ots) - Schweizer Städte haben den Ruf, sauber zu sein. Sie könnten noch sauberer sein, dank eines digitalen Systems, das den Müll in den Strassen erkennt und misst. Es soll helfen, die Ressourcen für die Reinigung effizient einzusetzen. Auch in der ordentlichen Schweiz ist die Bewirtschaftung von Siedlungsabfällen nicht nur eine logistische Belastung, sondern auch eine strategische Herausforderung. Da es kein ...

  • 01.02.2018 – 15:06

    Media Service: Bundesrat prüft neue Ansätze zur Streitbeilegung

    Bern (ots) - Ja oder Nein, nur unter gewissen Bedingungen, sofort oder noch nicht? Die politische Diskussion über die Beziehungen der Schweiz zur EU drehen sich seit Jahren um das sogenannte institutionelle Rahmenabkommen. Am Mittwoch teilte der Bundesrat mit, wie es weitergehen soll - blieb dabei aber einmal mehr recht vage. Am Mittwoch teilte der Bundesrat an einer Medienkonferenz mit, wie es mit den Beziehungen zur EU ...

  • 31.01.2018 – 08:50

    Media Service: Schweizer Uhren erneut auf Wachstum eingestellt

    Bern (ots) - Nach zwei rückläufigen Jahren in Folge stiegen die Exporte von Schweizer Uhren im Jahr 2017 wieder auf fast 20 Mrd. Franken. Diese Steigerung wirkte sich aber nicht spürbar auf die Beschäftigung aus: Im vergangenen Jahr gingen in der Branche fast 1700 Arbeitsplätze verloren. Noch ist es keine Euphorie, aber bei den Uhrmachern scheint es wieder aufwärts zu gehen. Nach einem deutlichen Rückgang im Jahr ...