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Wohlwollender Diktator EZB, Leitartikel zur Rolle der Zentralbank von Stephan Balling

Frankfurt (ots)

Zugegeben: In deutschen Ohren klingt vieles schrill, was der republikanische Kandidat für das US-Präsidentenamt fordert. Mitt Romney will "dafür arbeiten, den Zugang und die Möglichkeiten der Amerikaner zum Jagen und Schießen zu erweitern und zu verstärken", wie er auf seiner Internetseite verkündet. Krankenversicherung für alle? Unnötig, zu teuer, freiheitsraubende Staatswirtschaft! Dafür fordern Republikaner ein striktes Abtreibungsverbot und kämpfen gegen die Homoehe. Verrückte Amerikaner? Nicht ganz! Zugrunde liegt der Grand Old Party neben konservativen Werten ein tiefer Drang nach Freiheit statt staatlicher Gängelung. Ganz anders Europa: Wenn etwas schiefläuft, wird nach dem Staat gerufen. Selbst Ökonomen misstrauen dem Markt, also den freien Entscheidungen der Menschen, setzen auf staatliche Mindest- und Höchstpreise, die wenige Bürokraten oder Politiker festsetzen. Nicht nur, dass sich solche Eingriffe meist als ineffizient erweisen, sie sind häufig auch ein Angriff auf die Freiheit.

Solch einen Angriff stellt auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dar. 21 von 22 EZB-Ratsmitgliedern maßen sich an, den korrekten Preis von Staatsanleihen zu kennen, diffamieren den Markt als "irrational". Sie manipulieren nun mit dem Segen zahlreicher Ökonomen den Kapitalmarkt, wollen Zinssätze einzelner Länder steuern und sich nicht mehr wie früher auf das Gesamtzinsniveau im Euroraum beschränken. Armes Europa! Immerhin: Der Ball liegt bei der Politik. Die EZB handelt nur, wenn Länder unter ein Hilfsprogramm schlüpfen. Das deutsche Parlament weiß nun, dass Hilfspakete für Krisenländer einhergehen mit einer Verlagerung von Macht zur Notenbank. In deren Kreis widersteht einzig Bundesbankpräsident Jens Weidmann der Versuchung, "wohlwollender Diktator" zu spielen. Der wohlwollende Diktator ist ein wesentliches Element der Volkswirtschaftslehre: Er soll eingreifen, wenn der Markt versagt, also etwa bei Monopolen oder externen Effekten. Das Konzept mag als Gedankenexperiment nicht schlecht sein, für die Praxis taugt es kaum. Aus Sicht eines Republikaners - und das ist nicht parteipolitisch gemeint - ist ein Diktator ein Alptraum, und geriere er sich als noch so wohlwollend. Gewaltenteilung und die verfassungsmäßige Beschränkung von Staatseingriffen sind liberale Errungenschaften, die auch von einer unabhängigen Notenbank respektiert werden müssen.

Doch die EZB scheint ihr originäres Mandat aufzugeben, kümmert sich lieber um eine Frage, die sie gar nichts angeht: Bleibt der Euro die Währung der Euro-Staaten, und welche Länder gehören künftig zu Euroland. Diese Frage kann, ja darf sie nicht beantworten. Das ist Sache der Regierungen. Draghis Satz, der Euro sei unumkehrbar, ist nicht von seinem Mandat gedeckt. Sein Mandat heißt, dort für Preisstabilität zu sorgen, wo der Euro gilt. Doch die EZB lässt die Verbraucherpreise mit 2,6% deutlich stärker klettern, als es ihrer eigenen Definition von Preisstabilität entspricht. Der schwache Außenwert des Euro führt zu importierter Inflation. Niedrigstzinsen, immer lockerere Bedingungen bei der Vergabe von Zentralbankkrediten und Anleihekäufe sorgen für eine Flucht in Sachwerte, was die Preise für Häuser treibt und auf die Mieten durchschlägt.

In den USA, wo die Federal Reserve ähnlich aggressiv auftritt wie die EZB in Europa, wollen die Republikaner nun eine Rückkehr zum Goldstandard prüfen, mancher plädiert für ein entstaatlichtes, privates Geldwesen. Spitzenkandidat Romney hält davon persönlich wenig, wünscht sich lediglich eine "größere Stabilität in unserer Geldpolitik". Die Idee, dass das Geldsystem im Goldstandard frei von staatlichem Einfluss sei, habe sich in der Vergangenheit als "schlicht falsch" erwiesen, so Romney zu Jahresanfang im TV-Sender CNBC. Vermutlich hat er Recht. Die Argumente für ein staatliches Geldsystem mit unabhängiger Zentralbank ohne Goldstandard schlagen jene für eine Edelmetallwährung oder privates Geldwesen.

Doch derzeit agieren die politischen Kräfte, die Zugriff auf die Druckerpresse der Notenbank ergattern wollen, mit solcher Wucht, dass auch ein noch so sicher geglaubter Verfassungsrahmen eine immer weitere Machtanmaßung der monetären Bürokratie nicht verhindern kann. Um den libertären Flügel seiner Partei zu gewinnen, wendet sich in den USA deshalb auch Romney nicht mehr strikt gegen eine Rückkehr zum Goldstandard. Es kann auch in Euroland passieren, dass grundlegend die Unabhängigkeit der Notenbank hinterfragt wird. Davor sollte sich die EZB hüten und sorgsam darauf achten, innerhalb ihres Mandats zu agieren.

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