Die Gefahr im Krankenbett
Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Berlin (ots)
Was den Fall des gestorbenen Babys und des erkrankten Frühgeborenen in der Berliner Charité so betroffen macht, ist die Erkenntnis, dass ihre Erkrankung nicht etwa Gott gegeben war oder ist, sondern durch Menschenhand. Möglicherweise sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn mangelnde Handhygiene, also das allenfalls flüchtige Waschen der Hände, gilt als eine der gefährlichsten Sünden auch in deutschen Krankenhäusern. Noch wird in der Frühchen-Station auf dem Campus des Rudolf-Virchow-Klinikums fieberhaft nach der Quelle des Keims gefahndet. Traurige Wahrheit allerdings ist, dass es in deutschen Krankenhäusern um die Hygiene nicht so bestellt ist, wie es notwendig wäre.
Es ist ja kein Zufall, dass der Bundestag im August letzten Jahres ein neues Hygiene-Gesetz verabschiedet und die für die Umsetzung verantwortlichen Länder aufgefordert hat, jetzt ihrerseits entsprechende Verordnungen zu erlassen und für deren Umsetzung zu sorgen. In Berlin gibt es eine solche Verordnung seit Mitte des Jahres. Gesundheitssenator wie Charité haben sich offensichtlich auch korrekt verhalten, als sie sogleich nach der Diagnose der lebensbedrohlichen Keime das Robert-Koch-Institut informiert und um Amtshilfe gebeten haben. Insofern ist nach allen bisherigen Erkenntnissen der aktuelle Ausbruch an der Charité auch nicht mit den Vorfällen und nachweislichen Schlampereien in dem Bremer Klinikum im Frühjahr 2011 vergleichbar.
Keime jedweder Art in Krankenhäusern sind eine latente Gefahr, weil sie dort Menschen heimsuchen, deren Immunsystem geschwächt ist. Das gilt natürlich insbesondere für Intensiv- und Frühgeburtsstationen. Sie allerdings, wie alle übrigen Stationen, völlig keimfrei zu halten ist höchst aufwendig; und gilt dennoch als illusorisch. Was bei uns ziemlich undenkbar ist, wird in Amerika zumindest partiell gemacht. Um resistente Keime, die sich über Jahre in Krankenstationen "verbarrikadiert" haben, auszulöschen, werden prophylaktisch in bestimmten zeitlichen Abständen ganze Hospitäler entkernt und neu aufgebaut. Das passiert in Deutschland allenfalls mit verseuchten Stationen wie derzeit noch in Bremen und sehr bald im Virchow-Klinikum.
An der Hygiene zu sparen wird unweigerlich früher oder etwas später sehr teuer. Natürlich für die Gesundheit des Patienten, aber auch für Ruf und Renommee eines Krankenhauses. Deshalb wird der Ruf nach Hygiene-Fachärzten an jedem Hospital zu Recht immer lauter. Zu vielfältig sind die Quellen der Verunreinigung, als dass sich Stationsärzte auch darum noch intensiv kümmern könnten. Wer kontrolliert denn wirklich das Reinigungspersonal, wer die Besucher von außen, wer schlägt Alarm, wenn die Personaldecke zu dünn ist und deshalb das Händewaschen vor jeder neuen Patientenberührung nur drei Sekunden statt der notwendigen halben Minute dauert? Oder wer sorgt für die regelmäßige Desinfektion der gesamten Infrastruktur von der Wasserleitung bis zum Seifenspender?
Bei allen Mängeln, aller Sorge und aktueller Trauer gilt es aber auch daran zu erinnern: Ärztlicher Kunst gelingt es heute, viele Patienten, auch Frühchen mit minimalem Gewicht, zu retten, die früher keine Überlebenschance gehabt hätten.
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