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Flugzeug-Dusche gegen die Eis-Gefahr
Ohne Enteisungs-Flüssigkeiten gäbe es im Winter keinen Flugverkehr

Flugzeug-Dusche gegen die Eis-Gefahr / Ohne Enteisungs-Flüssigkeiten gäbe es im Winter keinen Flugverkehr
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Muttenz (ots)

Von Andreas Schwander

An kalten Tagen gibt es für jedes Flugzeug erst mal eine Dusche - eine Dusche aus Glykol gemischt mit heissem Wasser und verschiedenen Zusatzstoffen, je nach Aussentemperatur und Wetterverhältnissen. Die Dusche wird «De-Icing», Enteisen, genannt. Sie ist nötig, weil Eisbildung einer der gefährlichsten physikalischen Prozesse in der Fliegerei ist.

Eis und Flugzeuge vertragen sich nicht. Denn Eis kann in die Triebwerke geraten und diese beschädigen, es kann Teile der Flügelmechanisierung wie Landeklappen und Vorflügel blockieren. Das sind jene beweglichen Teile an den Tragflächen, die man als Passagier aus dem Flugzeugfenster beobachten kann, wie sie je nach Flugphase aus- oder eingefahren werden. Sie korrigieren aber auch mit feinen Bewegungen die Lage des Flugzeuges in der Luft. Eis kann aber auch im Leitwerk ganz hinten am Flugzeug Höhen- und Seitenruder verklemmen und damit die Steuerfähigkeit beeinträchtigen. Das wird innert kürzester Zeit sehr gefährlich.

Noch gefährlicher ist, wenn Eis die Flugeigenschaften eines Flugzeuges komplett verändert. So baut sich etwa Eis nahezu unsichtbar auf den Flügeln oder am Leitwerk auf. Es verändert das Flügelprofil, so dass die Strömung am Flügel abrupt abreisst, in der Fachsprache «Stall» genannt. Und plötzlich hört das Flugzeug auf zu fliegen. Schon eine hauchdünne Eisschicht mit der Rauheit von Schleifpapier kann eine verheerende Wirkung haben, wenn sie während dem Flug die meist unsichtbare aerodynamische Trennschicht über der Oberseite des Flügels verwirbelt.

Bei geeignetem Wetter sieht man das Phänomen der Trennschicht sogar als Passagier. Dann rast ein feiner Nebelstrom in etwa fingerbreitem Abstand über den Flügel. Der Abstand zwischen dem Nebel und dem Flügel ist ein Vakuum, welches das Flugzeug nach oben zieht. Dieser Effekt sorgt auch dafür, dass rund zwei Drittel des Auftriebs an der oberen Seite und nur ein Drittel an der unteren Seite des Flügels entstehen. Wenn nun von einer rauen Eisschicht gebildete Luftwirbel dieses Vakuum zerstören, ist der Auftrieb schlagartig weg und das Flugzeug fliegt nicht mehr. Man spricht von einem Strömungsabriss.

Eis kommt leise, einseitig und heimtückisch

Meist bildet sich das Eis nicht an beiden Flügeln gleichzeitig und gleich intensiv. Ein Strömungsabriss geschieht deshalb oft nur an einem Flügel. Das Flugzeug verliert dann nicht etwa kontinuierlich an Auftrieb, sondern fliegt plötzlich nur noch auf einer Seite: Es dreht sich wild und stürzt ab. Ähnlich gravierend sind Vereisungen am Leitwerk, wo die langsam dicker werdenden Eisschichten dazu führen können, dass das Flugzeug plötzlich völlig unvorhergesehen Bewegungen macht, obwohl die Positionen von Höhen- und Seitenruder nicht verändert wurden.

Eis an Flugzeugen bildet sich am Boden in der umgebenden feuchtkalten Luft. Es entsteht aber auch, wenn ein Flugzeug nach einer trocken-kalten klaren Winternacht mit einer sehr kalten Aussenhaut in eine Wolke feuchter Luft fliegt. Gleiches passiert auch, wenn ein Flugzeug von der Reiseflughöhe, wo es oft um -50 Grad kalt ist, absinkt und im Landeanflug durch feuchte Luftschichten fliegt.

Manche Simulatoren fliegen trotz Eis

Flugzeughersteller kennen deshalb eine Vielzahl von Technologien, um Eis zu bekämpfen. Da gibt es aufblasbare Gummimatten an den Flügeln und am Leitwerk, welche Eis wegsprengen, Flügelelemente, die mit heisser Luft aus dem Triebwerk beheizt werden, elektrische Heizungen oder auch elektrische Induktions-Systeme, welche Eis buchstäblich wegsprengen.

Der Umgang mit Eis gehört zum Standard-Programm bei der Pilotenausbildung. Flugzeugführer müssen wissen, wie sich Eis bildet. Sie lernen, wie man vereisende Luftschichten meidet, welche Konsequenzen Eis am jeweiligen Flugzeugtyp hat und wie man mit Eisbildung im Flug umgeht. Das alles wird sowohl in der Theorie wie auch im Simulator regelmässig geübt. Allerdings hat sich gezeigt, dass gewisse Simulatoren auch noch in Situationen «fliegen», in denen das reale Flugzeug aufgrund der Eisbildung bereits abgestürzt wäre. Weil diese Simulatoren aber nach wie vor für die Ausbildung zertifiziert sind, ist eine extrem sorgfältige Enteisung vor dem Flug umso wichtiger.

«Kühlelemente» in den Flügeln

Um die heisse Dusche vor dem Start führt kein Weg herum. Dabei reagiert jedes Flugzeug anders. Wurde es gerade eben mit frischem, warmem Treibstoff aus den unterirdischen Pipelines des Flughafens betankt, sind die Flügel mit den Tanks relativ warm und lassen weniger Eis entstehen. Waren die Flügeltanks dagegen schon am Abend voll, wirkt der Treibstoff wie ein Kälte-Akku in der Kühltasche und lässt sehr viel schneller wieder Eis auf den Flügeln ansetzen. Dieser Effekt kann sogar am selben Flugzeug variieren, etwa wenn die Tanks nur halbvoll sind. Bei Hochdeckern wie dem legendären Regionalflugzeug von Swiss und Eurowings Avro RJ «Jumbolino», dessen hoch am Rumpf sitzende Flügel leicht abwärts zeigen, läuft der Treibstoff in die Flügelspitzen. Dort hält sich dann das Eis zäher als in der Nähe des Rumpfes.

Das alles müssen Piloten und Bodenpersonal wissen, um Flugzeuge gründlich zu enteisen. Bei besonders garstigem Wetter und starkem Schneefall kommt dabei ein so genanntes «Two-Step De-Icing» zum Einsatz. Dabei wird erst mit heissem Wasser und Enteisungsmittel vom Typ I der Schnee von den Flügeln gespritzt. Danach verhindert ein zweiter Arbeitsgang mit einem anderen Glykol-Wassergemisch (Typ II bis IV) einen neuen Eis- und Schneeansatz.

Wichtig ist die so genannte Holdover-Time. Das ist die Zeit, die maximal verstreichen darf zwischen dem Enteisen und dem Abheben des Flugzeuges. Wird diese Zeit überschritten, muss das Flugzeug neu enteist werden. Das kann durchaus passieren, etwa wenn viele Flugzeuge auf den Start warten und zwischendurch auch noch Schnee weggeräumt werden muss. Wenn dann bei einer zusätzlichen Enteisung auch noch die Besatzung bis zur geplanten Landung die maximal erlaubte Arbeitszeit überschreiten würde, müssten neue Piloten aufgeboten werden und das Chaos wäre perfekt.

Höhere Anforderungen an die Enteisungsmittel

Doch bei der Enteisung erträgt das «System Luftverkehr» keine Kompromisse. Laut der US-Luft- und Raumfahrtbehörde NASA ist Eisbildung am Boden und während des Fluges für rund zehn Prozent der Flugzeugunfälle mitverantwortlich. Die Zahl der durch Vereisung oder mangelnde Enteisung in den letzten drei Jahrzehnten ums Leben gekommenen Menschen dürfte mehrere Hundert betragen.

Mit dichterem Flugverkehr, häufigeren Wartezeiten an Flughäfen und knapper Personalplanung bei den Airlines werden deshalb die Anforderungen an die Hersteller der Enteisungschemikalien immer höher. Die Enteisungsflüssigkeiten sollen nicht toxisch und möglichst billig sein, mit einer möglichst langen Holdover-Zeit. Im Entwicklungsteam von Clariant heisst es dazu: «Unsere Produkte enthalten vor allem Glykol, welches das Einfrieren verhindert. Wichtig sind aber auch Stoffe, die Korrosion vermeiden. Wiederum andere sorgen für eine gute Verteilung der Enteisungsmittel oder verhindern, dass diese auf den Tragflächen zu sehr aufschäumen. Bei den Flüssigkeiten des Typs Safewing® IV sorgt eine zusätzliche Substanz dafür, dass sich ein feiner Film bildet, der das Wiedereinfrieren deutlich hinauszögert.» Bei der Weiterentwicklung der Produkte forscht man in Richtung nachhaltigere Systeme, wobei vor allem Bio-Moleküle interessant sind.

Abwässer wie eine Millionenstadt

Denn Ökologie ist ein sehr grosses Thema. Beim Enteisen stehen den Risiken für die Flugpassagiere immer auch die Risiken für die Umwelt entgegen. Das früher häufig verwendete Ethylenglykol ist zwar gut biologisch abbaubar, aber relativ giftig. Deshalb wird es aufgrund seiner hohen Wirksamkeit praktisch nur noch in den grossen Arktis-Ländern Kanada und Russland verwendet. Propylenglykol, das überall sonst eingesetzt wird, ist deutlich weniger giftig. Allerdings haben beide Stoffe den Nachteil, dass sie beim biologischen Zerfall dem Wasser sehr viel Sauerstoff entziehen. Dieser Effekt ist bei der üblichen Mischung von Enteisungsmittel und Wasser etwa 3000-mal so stark wie bei normalem Abwasser.

Die Enteisung eines einzigen Flugzeuges mit durchschnittlich 800 Litern reiner Enteisungsflüssigkeit plus Wasser hätte deshalb auf das Wasser denselben Effekt wie die täglichen Abwässer einer Kleinstadt mit 8000 Einwohnern. Grossflughäfen wie Heathrow oder Frankfurt produzieren so im Winter allein mit der Enteisung Abwässer in Mengen, die vergleichbar sind mit jenen einer Millionenstadt. Diese Abwässer dürften auf keinen Fall einfach in die Umwelt abgeleitet werden. Die Flughäfen haben deshalb auf den Vorfeldern spezielle Kanalisationen und Enteisungs-Standplätze, wo sie die Flüssigkeiten sammeln, separat reinigen und teilweise sogar wiederverwerten können. Clariant stellt dazu den Flughäfen entsprechende Technologien und auch biologische Daten der Produkte zur Verfügung. Die Aufarbeitung des Glykols geschieht entweder direkt auf den Flughäfen oder in spezialisierten Betrieben ausserhalb. Das Recycling der aufgefangenen Enteisungsmittel kann zu erheblichen Einsparungen bei der vorschriftsgemässen Entsorgung führen. Denn ohne die warme Dusche aus Glykol vor dem Fliegen ist Fliegen viel zu gefährlich.

Kasten:

Orange, Gelb, Pink und Grün

Clariant vertreibt Enteisungsmittel unter den Markennamen Safewing®, Octaflo[TM] und Max Flight[TM]. Das Unternehmen ist in Europa, Russland, Nord- und Südamerika sowie in einzelnen asiatisch-pazifischen Ländern präsent, während die Märkte in China hauptsächlich von chinesischen Produzenten abgedeckt werden. Bei den Enteisungsmitteln unterscheidet man die Typen I bis IV, die mit den Farben Orange, Gelb, Pink und Grün eingefärbt werden. Typ I (orange) dient dabei gemischt mit heissem Wasser dem eigentlichen Enteisen (De-Icing), dem Entfernen von Schnee und Eis von Tragflächen und Leitwerken. Die drei anderen Flüssigkeiten sind anders zusammengesetzt und sollen vor allem das Wieder-Vereisen der bereits behandelten Flugzeugteile verhindern, indem sie einen feinen Film auf der Oberfläche des Flugzeuges bilden. Dieser Prozess wird «Anti-Icing» genannt.

Die Versorgung der Flughäfen benötigt eine ausgefeilte Logistik. Der Markt für Enteisungsmittel beträgt mehrere Hundert Millionen Euro jährlich. Produziert wird im Sommer auf Lager und mit der Winterproduktion wird das verbrauchte Material möglichst laufend ersetzt. Die Lager befinden sich sowohl in den Werken von Clariant wie auch an günstig gelegenen Logistikstandorten und bei den Flughäfen.

Kontakt:

Claudia Kamensky, Tel. +41 61 469 72 27,
claudia.kamensky@clariant.com

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