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Die Unsicherheit geht weiter - Leitartikel

Berlin (ots)

Die ganze Bandbreite zwischen Grausamkeit und Glückseligkeit in der Politik zeigte sich am Donnerstag im Bundestag. Wochenlang hatte die Kanzlerin ein übermenschliches Programm absolviert, hatte Abgeordnete und Günther Jauch bis zur Erschöpfung umschmeichelt, musste sich von den Führern anderer großer Nationen maßregeln lassen und um ihre ohnehin klapprige Koalition fürchten. Und dann das: Angela Merkel inmitten ausgelassener grauer Anzüge, wie verwandelt, um Jahre verjüngt, mit befreitem Lächeln. Nach Wochen der Qual endlich wieder ein Erfolg - nicht nur mit einfacher, sondern mit Kanzlerinnenmehrheit passierte das Euro-Paket den Bundestag. Der Sieg ist ein dreifacher: Die Machterosion der Bundeskanzlerin ist gestoppt, vorerst, sie durfte ihre letzte Karte, die Vertrauensfrage, behalten, zugleich scheint ein Hauch von Ordnung sichtbar im Schuldenchaos Europa. Ist jetzt alles wieder gut? Aber nein. Auch wenn die Regierung jetzt kurz im Rausch der Glückshormone taumelt, hat das Votum des Parlaments vorerst nicht viel mehr erbracht als einen kurzen Moment zum Verschnaufen. Der Druck ist raus, aber wie lange? Noch bevor die Abgeordneten zur Abstimmung schritten, wurden bereits nächste Schritte debattiert: Mag der Rettungsschirm die Lage im Moment beruhigen, so überlegen Finanzfachleute längst, wie die Sicherheitssumme künftig noch zu hebeln, also zu vergrößern sei. Auch Griechenland ist in Wirklichkeit nicht gerettet, sondern nur für ein paar weitere Wochen zahlungsfähig. Und was ist, wenn nach Athen nun Rom fällt? Während der griechische Regierungschef Papandreou diese Woche in Berlin einen soliden Auftritt hinlegte, kämpfen die Italiener sowie die ganze EU mit einem unberechenbaren Führungsproblem namens Silvio Berlusconi. Vor allem aber: Wie ernst wird der nächste Anlauf zu einem europäischen Stabilitätspakt genommen? Wirkt das "Sixpack" genannte Disziplinarprogramm? Wer achtet auf seine Einhaltung? Oder werden die neuen Regeln im Bedarfsfall ebenso lässig ignoriert wie alle anderen zuvor? Worauf wirklich Verlass ist: Die Unsicherheit geht weiter. Ob und wie das Vertrauen in den Euro-Raum zurückkehrt, bleibt unklar. Dass sich die hochnervösen Koalitionsführer Rösler, Seehofer und eben Merkel angesichts magerer Zustimmungswerte plötzlich wie ein Team aufführen, ist kaum zu erwarten. Auch die Geldhäuser werden nicht plötzlich hilfsbereiter. Es ist einer ungewöhnlich robusten Wirtschaft zu verdanken, dass die Deutschen sich angesichts dieser historischen Wochen ruhig bis phlegmatisch verhalten. Eine Petitesse wie die Guttenberg-Festspiele hat das Land unlängst deutlich mehr erregt. Der wahre Unruheherd erhitzt sich erst dann, wenn deutsche Unternehmen und damit Arbeitnehmer nachhaltig und nachweisbar unter dem Krisenmanagement der Politik leiden, wenn Steuereinnahmen schwinden, Sozialausgaben steigen und jene deutsche Urangst wieder aufsteigt, die derzeit aufgrund guter Zahlen schlummert. Nach der Krise ist vor der Krise. Und die nächste wird nicht leichter.

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