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Bundesanwaltschaft BA

BA: Erläuterungen zum Vorgehen der Bundesanwaltschaft in Zusammenhang mit der sogenannten "Türkei-Geheimdienst-Affäre"

Bern (ots)

Sprechnotiz von Bundesanwalt Valentin Roschacher:
"Ich möchte Sie hier aus erster Hand über die Vorabklärungen 
informieren, die die Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit 
mutmasslichen Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in der 
Schweiz an die Hand genommen hat. Gegenstand unserer Vorabklärungen 
war die Frage, ob es in Zusammenhang mit den Umständen eines 
abgesagten Besuchs von EDA-Vorsteherin BR Calmy-Rey in der Türkei 
konkrete Hinweise auf verbotenen politischen Nachrichtendienst durch 
den türkischen Geheimdienst in der Schweiz gibt und ob die 
Bundesanwaltschaft diesbezüglich ein Strafverfahren eröffnen muss. 
Lassen Sie mich die Antwort gleich vorwegnehmen. Sie lautet: Nein.
Wie Ihnen bekannt ist, stellt sich die Frage nach allfälligen 
illegalen Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in der Schweiz 
aufgrund einer Publikation des „Tages-Anzeiger“ seit vergangenem 
Samstag mit aktueller Dringlichkeit. Im erwähnten Artikel wird 
geltend gemacht, der türkische Geheimdienst – es handelt sich um den 
MIT (Milli Istihbarat Teskilati – Nationaler türkischer 
Nachrichtendienst) habe den Schweizer Behörden den Hinweis auf ein 
Treffen von BR Calmy-Rey mit einem Vertreter einer staatsfeindlichen 
Kurdenorganisation in Lausanne zukommen lassen. In der Publikation 
wird die Frage gestellt, weshalb der türkische Geheimdienst über ein 
Treffen einer Bundesrätin mit einem Kurden auf schweizerischem 
Territorium Bescheid wisse. Es wird ebenfalls gefragt, ob der 
türkische Geheimdienst möglicherweise – eventuell von höchsten 
Bundesstellen geduldet – Informationen durch Beschattungen und 
Aushorchaktivitäten in der Schweiz beschaffe, was nach Einschätzung 
des TA als verbotener politischer Nachrichtendienst strafbar wäre, 
gemäss Artikel 272 des Schweizer Strafgesetzbuchs.
Diese Fragen sind von grosser Tragweite – wie auch das entsprechende 
Medienecho zeigt - und sie sind in der Bundesanwaltschaft 
entsprechend ernst genommen worden.
Die Bundesanwaltschaft hatte als unabhängige Strafverfolgungsbehörde 
des Bundes bis zur Publikation des „Tages-Anzeiger“ keine Kenntnis 
von den geschilderten nachrichtendienstlichen bzw. 
bundesratsinternen Vorgängen. Letztere sind für die Strafverfolgung 
nicht von Interesse. Wir sind allerdings aufgrund der genannten 
Publikation hellhörig geworden, weil die Strafverfolgung möglicher 
nachrichtendienstlicher Delikte der Bundesgerichtsbarkeit 
untersteht, also in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fällt. 
Wir sind auch hellhörig geworden, weil bereits eine in den Medien 
geäusserte Vermutung, ein ausländischer Nachrichtendienst sei in der 
Schweiz illegalerweise aktiv, und dies überdies gegen ein Mitglied 
der Landesregierung, äusserst schwer wiegt und nach einer 
sorgfältigen Ueberprüfung der entsprechenden Informationen verlangt.
Es ging der Bundesanwaltschaft – kurz zusammengefasst – darum, die 
Fragen zu klären, ob tatsächlich Informationen über ein Treffen von 
BR Calmy-Rey mit einer Drittperson in der Schweiz gezielt an den 
türkischen Geheimdienst gelangt sind, um was für Informationen es 
sich dabei handelte, aus welcher Quelle und auf welchem Weg sie an 
den türkischen Geheimdienst gelangten, und wer an diesem Vorgang 
möglicherweise beteiligt war.
Die entsprechenden Vorabklärungen haben wir unverzüglich eingeleitet 
und haben sie in den letzten Tagen mit Nachdruck durchgeführt. Es 
gilt dabei festzuhalten, dass die Bundesanwaltschaft ein 
Strafverfahren mit allen Konsequenzen nicht aufgrund von 
Vermutungen, Gerüchten oder Medienspekulationen eröffnen kann und 
eröffnen darf, sondern ausschliesslich auf der Basis eines 
begründeten Tatverdachts. Es ging bei unseren Vorabklärungen also in 
erster Linie darum, die grundlegenden Informationen im Kontakt mit 
den beteiligten Stellen so weit zu klären, dass eine strafrechtlich 
saubere Würdigung der vorliegenden Informationen möglich war und 
über Eröffnung oder Nichteröffnung eines Strafverfahrens entschieden 
werden konnte. Oder anders gesagt: Bevor die Bundesanwaltschaft den 
Apparat der Strafverfolgung in Bewegung setzt, muss sie abklären, ob 
die verfahrensbegründenden Elemente, insbesondere ein konkreter 
Tatverdacht für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes, gegeben 
sind.
Dies ist nun hier – wie unsere Vorabklärungen ergeben haben - nicht 
der Fall. Die Bundesanwaltschaft wird also kein Strafverfahren 
eröffnen. Nun bedingt ja die Nichteröffnung eines Strafverfahrens 
paradoxerweise einen grösseren Erklärungsbedarf, als wenn wir sagen 
könnten: „Die Bundesanwaltschaft ermittelt“.
Wir haben unsere Vorabklärungen (die nicht mit strafrechtlichen 
Ermittlungen zu verwechseln sind, obwohl diese Unterscheidung in der 
Medienberichterstattung der letzten Tage nicht klar gemacht wurde) 
unter anderem mit BR Calmy-Rey, mit Bundespräsident Couchepin, mit 
leitenden Mitarbeitenden des EDA, sowie mit leitenden Mitarbeitenden 
des Dienstes für Analyse und Prävention durchgeführt.
Folgendes sind die Fakten, die wir dabei festgestellt haben: BR 
Calmy-Rey wurde am Rande der Jahreskonferenz von SECO und DEZA am 
29. August 2003 im Palais de Beaulieu in Lausanne während des Apéros 
nach dem offiziellen Teil von einem Mann angesprochen, der sich als 
Repräsentant einer kurdischen Organisation vorstellte. Es folgte ein 
kurzer Wortwechsel, in welchem der Mann gegenüber BR Calmy-Rey seine 
Besorgnis über den Gesundheitszustand des inhaftierten PKK-Führers 
Abdullah Oecalan zum Ausdruck brachte, worauf BR Calmy-Rey ihn – wie 
in solchen Fällen üblich – auf den Weg verwies, sein Anliegen 
schriftlich vorzubringen. Die Information über diesen kurzen 
Wortwechsel gelangte in der Folge an den türkischen Geheimdienst MIT 
und wurde von diesem seinerseits dem Schweizerischen 
Inlandnachrichtendienst, dem Dienst für Analyse und Prävention zur 
Kenntnis gebracht. Die dem türkischen Geheimdienst offenbar 
vorliegenden Informationen über den Wortwechsel entsprechen nach 
unseren Erkenntnissen allerdings in wesentlichen Punkten nicht den 
von BR Calmy-Rey gemachten Aussagen, bzw. die dem MIT vorliegenden 
Informationen sind teilweise falsch und irreführend, namentlich was 
angebliche Zusicherungen der EDA-Vorsteherin hinsichtlich des von 
ihrem Gesprächspartner geäusserten Anliegens betrifft.
Für unsere Einschätzung der Sache unter strafrechtlichen 
Gesichtspunkten wesentlich sind die Angaben zum Rahmen der 
Veranstaltung, an welcher sich das Treffen abspielte: Es handelte 
sich – wie gesagt – um die Jahreskonferenz von DEZA und SECO. 
Angemeldet waren für den offiziellen Teil rund 1'600 Personen. Eine 
Einladung konnte aus dem Internet bezogen werden, bzw. lag als 
Beilage der DEZA-Zeitschrift „Eine Welt“ (Auflage: 40'000 Exemplare) 
bei. Eine Eingangskontrolle wurde nicht durchgeführt. Die an den 
offiziellen Teil anschliessenden Programmteile, Apéro und Konzert 
waren öffentlich, eine Anmeldung war nicht notwendig. Jedermann 
hatte Zutritt.
Es stellt sich nun für eine strafrechtliche Bewertung des 
Sachverhalts vor dem Hintergrund des Artikels 272 StGB im 
Wesentlichen die Frage, in welcher Weise die Information über das 
Gespräch von BR Calmy Rey im Rahmen des geschilderten Anlasses den 
türkischen Geheimdienst erreicht hat.
Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die „Spitzel“-Hypothese: 
Jemand hat gleichsam als Spion das Gespräch von BR Calmy-Rey mit dem 
Kurdenvertreter direkt mitgehört und dies den türkischen Behörden 
gemeldet. Würde dies strafrechtlich gesehen unter den verbotenen 
politischen Nachrichtendienst fallen und müsste hier die 
Bundesanwaltschaft ermitteln? Nach sorgfältiger Prüfung der Umstände 
lautet die Antwort: Nein. Der Teil des Anlasses, an welchem das 
Gespräch stattfand, war öffentlich, der Saal war frei zugänglich, 
und im Prinzip konnte jedermann, der sich gerade in der Nähe befand, 
das Gespräch ohne weiteres mitverfolgen. Die Weitergabe 
solchermassen erhebbarer Informationen, auch an eine ausländische 
Behörde, ist nach dem Gesetz nicht strafbar, selbst wenn diese 
Informationen möglicherweise politisch heikel sind. Es war kein 
besonderer Effort nötig, um an die Information über das Gespräch von 
BR Calmy-Rey mit dem Kurdenvertreter zu gelangen, also kein 
sogenannter „Erkundungs- und Meldedienst“, wie ihn die 
bundesgerichtliche Rechtsprechung zum Tatbestand des politischen 
Nachrichtendienstes voraussetzt. Die Weitergabe einer so 
mitbekommenen Information - von wem auch immer an wen auch immer, 
egal ob richtig, falsch oder verfälscht - wäre keine Straftat, darum 
käme in diesem Fall auch kein Strafverfahren in Frage.
Eine zweite Hypothese, wie die Information an die türkischen 
Behörden hätte gelangen können, ist eine Variante der obengenannten 
„Spitzel“-Hypothese. Sie geht von der Annahme aus, dass der 
türkische Geheimdienst MIT aufgrund einer systematischen 
Ueberwachung von Kurden in der Schweiz in Besitz der Information 
gelangt sein könnte. Dafür gibt es wohl zahlreiche Vermutungen, 
allerdings keine konkreten Anhaltspunkte. Die reine Theorie, dass 
eine solche breit angelegte Ueberwachung durch einen ausländischen 
Geheimdienst denkbar und möglich wäre, genügt zur Eröffnung eines 
Strafverfahrens nicht. Das Gesetz setzt einen hinreichenden Verdacht 
einer konkreten Straftat voraus. Fehlt dieser Verdacht, fehlt die 
Rechtsgrundlage zur Eröffnung eines Strafverfahrens durch die 
Bundesanwaltschaft. Und wir müssen uns in jedem Fall ans Recht und 
an die Regeln des Rechtsstaats halten.
Lassen Sie mich hier zusammenfassend folgendes festhalten: Es fehlen 
nach eingehender und sorgfältiger Abklärung der vorliegenden 
Informationen die strafrechtlich relevanten Hinweise auf eine 
gezielte Bespitzelung eines Mitglieds der Landesregierung oder der 
in der Schweiz ansässigen Kurden.
Ich kann als Bundesanwalt in diesem Punkt, bezogen auf diesen klar 
umrissenen Sachverhalt, also vorsichtige, aber eindeutige Entwarnung 
geben.
Sollten den vom türkischen Geheimdienst verbreiteten Informationen 
Feststellungen zugrunde liegen, die im geschilderten öffentlichen 
Rahmen gemacht wurden, kann unter strafrechtlichen Gesichtspunkten 
nicht von verbotenem politischem Nachrichtendienst im Sinne von 
Artikel 272 StGB gesprochen werden. Es gibt in diesem Sachverhalt 
weiter keine konkreten Hinweise für andere illegale Aktivitäten des 
türkischen Geheimdienstes in der Schweiz, die die Bundesanwaltschaft 
zur Eröffnung eines Strafverfahrens bestimmen, bzw. berechtigen 
würden.
Lassen Sie mich aber an dieser Stelle auch an die Adresse von 
Behörden im Ausland in aller Eindeutigkeit folgendes festhalten: Das 
Schweizer Strafgesetz stellt politischen, wirtschaftlichen und 
militärischen Nachrichtendienst unmissverständlich unter Strafe, 
genau so wie verbotene Handlungen für einen fremden Staat gemäss 
Artikel 271 StGB, wie dies ja spätestens seit diesem Sommer bekannt 
sein sollte. Es kann sich keine ausländische Behörde erlauben, in 
der Schweiz auf eigene Faust tätig zu werden. Die Bundesanwaltschaft 
reagiert - ohne Ansehen der entsprechenden Landesfarben und ohne 
politische Rücksichtnahme – dezidiert auf mögliche Missachtung der 
Souveränität unseres Landes. Bei konkretem Verdacht, dass unser 
Land, seine Behörden und seine Bewohner (egal welcher Nationalität) 
ins Visier illegaler nachrichtendienstlicher Aktivitäten geraten, 
werden wir keinen Moment zögern, dem Schweizer Recht und den 
Schweizer Gesetzen mit allen Mitteln der Strafverfolgung Nachachtung 
zu verschaffen.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit."

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