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Aerztinnen und Aerzte gegen die Fristenl

Interview mit Frau Dr. med. Dorothea Hefti: "Die Fristenregelung hat gefährliche Mängel"

Bern (ots)

Die Gynäkologin Dr. med. Dorothea Hefti, 38, ist eine
von 320 Schweizer Ärztinnen und Ärzten, die vor der Fristenlösung
warnen. Diese habe fatale Folgen: Gewissenskonflikte bei
medizinischem Personal und Eltern sowie rechtliche Unsicherheiten
seien vorprogrammiert. Wir haben die Langenthaler Gynäkologin zu
einem Gespräch getroffen. 
Interview: Carlo Meier*
Frau Dr. Hefti, Ihre Ärztinnen- und Ärztevereinigung warnt davor,
bei einer Annahme der Fristenlösung würde medizinisches Personal zu
Abtreibungen genötigt - entspricht dies tatsächlich der Realität?
Dorothea Hefti: Ein bereits heute bestehendes Problem würde sich
verschärfen. Denn Frauenärzte müssen den gesellschaftlichen Auftrag
der Schwangerschaftsbeendigung übernehmen. Auch Ärzte, Hebammen und
Krankenschwestern, die aus Gewissensgründen gegen Abtreibungen sind,
werden durch die Abläufe in einem Spital unweigerlich damit
konfrontiert, etwa im Nachtdienst oder als Stationsverantwortliche.
Könnte eine betroffene Ärztin sich denn nicht weigern, eine
Abtreibung auszuführen?
Sie müssen sich vorstellen, dass die Arbeit im Spital in einem
Team stattfindet. Wenn nun einer sich weigert, die "Drecksarbeit" zu
tun - und so werden Schwangerschaftsabbrüche von vielen bezeichnet -
schafft das Konflikte. Viele Klinikleiter versuchen dies zu umgehen,
indem sie "Abtreibungsverweigerer" erst gar nicht anstellen.
Die "Abtreibungspflicht" kollidiert also mit der ärztlichen
Pflicht, Leben zu bewahren?
Das ist tatsächlich ein Problem. Ärzte sind dazu verpflichtet,
Leben zu erhalten - der gesetzliche Auftrag der Fristenregelung,
Tötungsmassnahmen zu ergreifen, bringt uns in ein Dilemma und macht
uns meiner Meinung nach unglaubwürdig. Wie wir bei einer Annahme der
Vorlage mit diesem Widerspruch umgehen sollten, ist mir ein Rätsel.
"Spätabtreibungen würden bei Annahme der Fristenregelung unter
gewissen Umständen straffrei werden und viel häufiger vorkommen."
Was bedeuten Schwangerschaftsabbrüche in der Berufsausübung für
die beteiligten Ärzte, Hebammen und das Pflegepersonal?
Lassen Sie mich dazu ein konkretes Beispiel nennen. Kommt in der
Sprechstunde eine Patientin mit unerfülltem Kinderwunsch zu mir und
es wird eine aufwändige, teure Sterilitätstherapie begonnen, und
anschliessend kommt eine Patientin mit unerwünschter Schwangerschaft
wegen unterlassener Verhütung, dann ist das für mich ein Wechselbad
der Gefühle und oft auch eine echte Zerreissprobe. Besonders krass
ist diese Spannung im Fall von Abtreibungen nach der 14.
Schwangerschaftswoche. Denn diese werden vielerorts im Gebärsaal nach
einer Geburtseinleitung durchgeführt, während im Saal nebenan eine
normale Geburt geschieht und gelegentlich auch mit allen Mitteln der
modernen Medizin um das Leben eines Kindes gerungen wird. Solche
Spätabtreibungen würden bei Annahme der Fristenregelung unter
gewissen Umständen straffrei werden und somit viel häufiger
vorkommen.
In der Fristenlösung sind doch 12 Wochen als Grenze festgesetzt -
weshalb glauben Sie denn trotzdem, dass die Anzahl von
Spätabtreibungen nach diesem Zeitpunkt steigen würde?
   Gemäss Gesetzestext der Fristenlösung muss die schwangere Frau
eine Notlage schriftlich geltend machen. Diese Notlage muss um so
schwerer sein, je weiter die Schwangerschaft fortgeschritten ist. Der
Begriff der Notlage ist jedoch nicht näher definiert - das ist in der
Praxis ein mit weitem Spielraum auslegbarer Gummibegriff. Damit wird
gesetzlich keine wirkliche Grenze festgeschrieben. Bei der Einführung
des neuen Rechts in Deutschland nahmen die Spätabbrüche nach der 23.
Schwangerschaftswoche innerhalb der ersten beiden Jahre nach der
Rechtsänderung um ein Mehrfaches zu.
"Der Kleine überlebte seine eigene Abtreibung. Er schnappte nach
Luft, stiess leise Schreie aus und kämpfte ums Überleben. Erst nach
mehreren Stunden begann man ihn zu behandeln."
Konkret: Bis zu welcher Schwangerschaftswoche wäre bei der
Fristenlösung eine Abtreibung in der Schweiz straffrei?
Wenn der Nachweis einer Notlage oder auch die Gefahr einer Notlage
vorliegt - wobei nicht klar ist, nach welchen Kriterien diese Gefahr
bemessen wird - faktisch bis zum letzten Tag vor der Geburt. Wobei zu
beachten ist, dass ein Kind bereits ab der 24. Schwangerschaftswoche
ausserhalb des Mutterleibs lebensfähig wäre, was bei gewissen
Abtreibungsmethoden zu tragischen Vorkommnissen führen kann.
Zu welchen denn?
Ein Fall, der traurige Berühmtheit erlangt hat, ist das sogenannte
Oldenburger Baby: Ein Bub namens Tim überlebte seine eigene
Abtreibung in der 25. Schwangerschaftswoche. Nach der künstlich
eingeleiteten Geburt wurde er zum Sterben liegengelassen, wie das bei
dieser Methode üblich ist. Doch der Kleine starb nicht, er schnappte
nach Luft, stiess leise Schreie aus und kämpfte ums Überleben. Als er
nach mehreren Stunden immer noch am Leben war, erbarmten sich die
Geburtshelfer und begannen ihn zu behandeln. Das brachte dem Arzt
eine Klage ein, er habe fahrlässig gehandelt. Zudem waren natürlich
Pflegepersonal und die Eltern in einer furchtbaren Konfliktsituation.
Mit der Annahme der Fristenregelung ohne genau definierte Grenze, bis
wann abgetrieben werden darf, würden ähnliche Fälle auch in der
Schweiz vorkommen. Wer die Fristenlösung mit dem vorliegenden
Gesetzestext akzeptiert, nimmt solche Schicksale bewusst in Kauf.
"Es braucht eine echte Unterstützung für Mütter in Notlagen. Doch
die Fristenregelung zeigt keinerlei Alternativen zur Abtreibung auf."
Aber wie sollte es denn Ihrer Meinung nach weitergehen - so wie
jetzt kann es ja auch nicht bleiben?
Die heutige Situation ist tatsächlich in mehreren Punkten
unbefriedigend. Die Hilfe für Mütter in Not muss stark ausgebaut
werden, denn eine ungewollte Schwangerschaft kann wirklich in eine
schwere Krise führen. Diese wird meist dadurch ausgelöst, dass das
Kind nicht ins Lebenskonzept der Mutter passt - Ausbildung nicht
abgeschlossen, zu jung, zu alt. Die Legalisierung des
Schwangerschaftsabbruchs würde nun begünstigen, dass die Frau in
einer solchen Schocksituation eine vorschnelle Lösung wählt, die sie
vielleicht später bereut. Deshalb ist eine sehr gute, spezifische
Beratung nötig. Doch heute ist es leider oft so, dass die
Beratungsgespräche in Spitälern von Assistenten durchgeführt werden,
die in dieser Form von Gesprächsführung nicht ausgebildet und häufig
überfordert sind. Zudem benötigt eine solche Beratung nicht nur
Können, sondern auch Zeit.
Welche Verbesserungen gegenüber dem heutigen Stand fordern Sie
konkret?
Fundierte Beratung mit genügend Kompetenz und Zeit; ausserdem
müssen Angebote wie Krippenplätze, Kündigungsschutz und
Mutterschaftsversicherung ausgebaut werden. Mit gleichem Nachdruck
ist an präventiven Massnahmen zu arbeiten - 50 Prozent aller
Schwangerschaftsabbrüche werden nach fehlender oder mangelhafter
Empfängnisverhütung durchgeführt. Alle Alternativen zu einem
Schwangerschaftsabbruch müssen gefördert werden. Es braucht eine
echte Unterstützung für  die oft unter finanziellem oder familiärem
Druck stehenden Mütter. Die Fristenregelung zeigt hier keinerlei
Alternativen auf. Sie sollte meines Erachtens wegen ihrer
unübersehbaren, gefährlichen Mängel abgelehnt werden, um die Tür für
eine neue, bessere Regelung zu öffnen.
Zur Person:
Dr. med. Dorothea Hefti, 38, ist praktizierende Fachärztin für
Gynäkologie und Geburtshilfe. Sie verfügt über eine zusätzliche
Psychosomatische Ausbildung (APPM), ist verheiratet und Mutter der 8
Monate alten Zwillingssöhne Elias und Josua. Sie lebt mit ihrer
Familie in Langenthal.
* Der Journalist Carlo Meier, Zug, ist Autor von Artikeln für
"Beobachter", "Das Magazin", "Weltwoche", "Das Beste" u.v.a.
Ausserdem veröffentlichte er zahlreiche Bücher.
Das Ärztekomitee:
320 Schweizer Ärztinnen und Ärzte haben ein Komitee gegen die
Fristenregelung gegründet, um Aspekte aus medizinischer Sicht in die
Fristenregelungs-Debatte einzubringen. Sie wollen dem ungeborenen
Leben von der Zeugung an Schutz gewähren, und weisen aber auch darauf
hin, wie vielfältig und langfristig verheerend die psychischen Folgen
einer Abtreibung für manche Frauen sind. Die Mediziner gehen auch
davon aus, bei einer Annahme der Fristenregelungs-Vorlage erhöhe sich
der Druck und die Belastung für betroffenes Personal, denn die Zahl
von Spätabtreibungen würde markant ansteigen, wie Vergleichswerte aus
dem benachbarten Ausland belegen. Die Tötung oder Nichtbetreuung
lebensfähiger Frühgeburten brächte viele betroffene Schweizer Ärzte
und Kindseltern in schwere Gewissenskonflikte. 
Weitere Informationen unter: www.aerztenein.ch

Kontakt:

Kontakt zu Frau Dr. Hefti sowie weiteren Ärztinnen und Ärzten für
Interviews und Statements gegen die Fristenlösung über den Leiter des
Komitees, Dr. med. Wilf Gasser, Bern, Telefon +41/79/645/29I44,
E-Mail wi.gasser@bluewin.ch.