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Unfertiges Lohnkalkül, Kommentar zur Bundesbank von Stephan Lorz

21.07.2014 – 20:45 

Frankfurt (ots) -

Wenn die Deutsche Bundesbank - der Gewerkschaftsnähe eher unverdächtig - plötzlich einen größeren Schluck aus der Lohnpulle fordert, ist die Überraschung groß und der Beifall von Arbeitnehmervertretern sowie der Politik kommt auf dem Fuße. Denn über Jahre waren es die Frankfurter Bundesbanker, die an vorderster Stelle vor "überzogenen Tarifabschlüssen" gewarnt und ihre ganze Autorität in die Zügelung von Lohnforderungen geworfen hatten. Die Sorge vor einer sich anbahnenden deflationären Entwicklung hat sie offenbar umdenken lassen. Nun forderten sie dem Vernehmen nach bei einem Zusammentreffen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund, die Arbeitnehmer sollten künftig nicht mehr so bescheiden auftreten wie bisher. Dabei können sich die Erwerbstätigen schon jetzt über das kräftigste Lohnplus seit 15 Jahren freuen: Mit 3,1% stiegen die Tarifgehälter im laufenden Jahr stärker als die Teuerung.

Mit ihrer Forderung allein an die Tarifparteien macht es sich die Bundesbank aber zu einfach, wenn sie die Deutschen in den Konsum treiben und eine Teuerungswelle lostreten möchte. Sie muss dabei schon auch die Bundesregierung mit in das Kalkül nehmen. Denn zur selben Zeit verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass "kein Raum" für einen Abbau der kalten Progression bestehe - trotz sprudelnder Steuereinnahmen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Erst jüngst verabschiedete, milliardenteure Ausgabenprogramme in den Sozialversicherungen saugen den finanziellen Bewegungsspielraum sofort wieder ab. Von den schwerwiegenden Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Investitionsstandorts ganz zu schweigen.

Während im Ausland ein "Deutsches Jahrhundert" ausgerufen und das "Jobwunder" gerühmt wird, zeigen sich schon erste konjunkturelle Eintrübungen: die geopolitische Unsicherheit, die dilettantisch umgesetzte Energiewende und Milliardenlasten durch unverantwortliche Ausgabenprogramme zehren am Nimbus der heimischen Wirtschaft.

Gewiss, angesichts der sich über Jahre angesammelten Kaufkraftverluste ist eine Trendwende in der Lohnentwicklung überfällig. Aber die Bundesbank darf den Staat nicht aus seiner Verantwortung für das Wohl der Wirtschaftsbasis entlassen. Hält sich Berlin steuerpolitisch nämlich nicht stärker zurück, wäre der Fiskus der größte Nutznießer von Lohnsteigerungen. Sie würden über die kalte Progression unmittelbar bei ihm landen - und nicht zunächst die Kaufkraft der Verbraucher stärken.

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