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Freud'sche Versprechen, Kommentar zum EU-Gipfel von Detlef Fechtner

25.06.2014 – 20:30 

Frankfurt (ots) -

Jeder kennt Freud'sche Versprecher - also unabsichtliche sprachliche Fehlleistungen, die offenbaren, dass jemand andere Hintergedanken hat. Beim EU-Gipfel heute und morgen werden ebenfalls Aussagen zu hören sein, die andere Hintergedanken offenbaren. Nur handelt es sich dabei nicht um unabsichtliche Ausrutscher, sondern um absichtsvolle Formulierungen. Also nicht um Versprecher, sondern um Versprechen.

Die Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem Treffen ein Problem lösen. Und gleichzeitig einige neue Probleme schaffen. Sie werden einerseits Jean-Claude Juncker als Kandidaten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten küren. Sie werden andererseits bemüht sein, trotzdem alle, die davon nicht begeistert sind, durch allgemein gehaltene, inhaltliche Zugeständnisse zu entschädigen. Das ist der eigentliche Zweck der sogenannten Strategischen Agenda, die beschlossen werden soll.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy war zuletzt viel unterwegs, um die Formulierungen abzustimmen. Großbritannien zuliebe wird viel die Rede sein von den Lieblingsthemen auf der Insel: von der Weiterentwicklung des Binnenmarkts und dem Abbau administrativer Belastungen, vom Nutzen von Freihandelsabkommen und vom energischen Kampf gegen den Missbrauch der Sozialsysteme durch Freizügigkeit von Arbeitnehmern. Zugleich wird die Gipfel-Agenda Zugeständnisse an Italien enthalten - in Form blumiger Worte über eine flexible, wachstumsfreundliche Auslegung des Stabilitätspakts.

Die Bundesregierung macht einen zufriedenen Eindruck. Die schwierige Spitzenpersonalie wird abgeschlossen, weitere Schritte der Integration der EU und der Eurogruppe sind nicht ausgeschlossen und der Rechtstext des Stabilitätspakts bleibt unangetastet. Es wäre aber töricht, andererseits die Gefahren zu übersehen, die man sich eingehandelt hat. Die Briten werden die Agenda nicht als bloße Prioritätenliste, sondern als Dokument des Selbstverständnisses und der Verankerung der EU interpretieren - und sich künftig in Brüssel noch bockiger präsentieren als jetzt schon. Die Italiener werden aus der Agenda ableiten, dass sie in schweren Zeiten (und bekanntlich sind fast alle Zeiten schwer) ihren riesigen Schuldenberg nicht wie eigentlich vereinbart in nennenswerten Schritten abbauen müssen.

Die Wahrheit ist bekanntlich konkret. Briten, Italiener und wohl auch Franzosen werden schon bald konkret die Belastbarkeit der Versprechen dieser Agenda testen. Auf die EU wartet erneut ein Stresstest.

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