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Gesunde Skepsis der Richter / Leitartikel von Jochim Stoltenberg

12.09.2012 – 21:00 

Berlin (ots) -

Den Klägern sei Dank, den Verfassungsrichtern großer Dank. Denn auch wenn Deutschlands höchstes Gericht die Klagen abgewiesen hat, sorgt der Urteilsspruch für Klarheit und Beruhigung: In der Politik, in der Euro-Zone und auf den Finanzmärkten. Der Euro-Rettungsschirm ist mit dem Grundgesetz und damit mit den parlamentarischen Grundsätzen vereinbar. Aber er hat auch Grenzen. Die schreiben die Richter in aller Deutlichkeit vor und entkräften damit die in Deutschland sich immer weiter ausbreitende Sorge, ja Angst, in ein Fass ohne Boden einzahlen zu müssen. Bei der bislang vereinbarten Haftungsgrenze von 190 Milliarden Euro ist Schluss. Es sei denn, der Bundestag beschließt etwas anderes. Damit bekräftigen die Richter wie schon im Lissabon-Urteil die Rechte des Parlaments. Insbesondere bezüglich eines europäischen Einigungsprozesses, der sich mehr und mehr unter Umgehung, ja Missachtung der nationalen Parlamente, im konkreten Fall des Bundestags vollzieht. Ohne den Gang nach Karlsruhe hätte es diese neuen parlamentarischen und damit demokratischen Leitplanken nicht gegeben.

Aus dem Richterspruch, der ja erst nur ein vorläufiger, aber gewiss schon ein wegweisender ist, lässt sich noch etwas anderes herauslesen. Nämlich die ziemlich große Skepsis der Richter gegenüber der Vertragstreue innerhalb der EU. Davon kündet die Auflage, der ESM-Rettungsschirm sei für Deutschland nur bindend, wenn die Haftungsgrenze völkerrechtlich abgesichert wird. Das bedeutet, alle Euro-Mitglieder haben anzuerkennen, dass Deutschlands Haftung die vereinbarte Summe nicht übersteigen darf. In welcher Form das geschehen soll, lassen die Richter offen. Aber ihr Verdikt ist klar. Genährt wohl auch aus der Erfahrung, dass es in der EU zur schlechten Gewohnheit geworden ist, es mit dem, was gemeinsam vereinbart worden ist, nicht besonders genau zu nehmen. Auch Deutschland hat da schwer gesündigt und die Stabilitätsgrenzen verletzt. Aber wir haben hoffentlich gelernt. Das müssen nun auch jene Südländer, die insgeheim gehofft haben mögen, Deutschland weiter zur Kasse zu zwingen, um sich ihr Finanzlotterleben bezahlen zu lassen. Wie ernst es die Karlsruher Richter meinen, machen sie zudem mit der Auflage deutlich, der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat dürfe ohne Absprache mit Bundestag und Bundesrat nichts entscheiden. Damit ist die Horrorvorstellung, dass sich die Euro-Zone zu einer Haftungsunion entwickelt, beseitigt. Deshalb ist der gestrige Tag ein guter für alle, die es ernst meinen mit einem Europa, das weder von der Brüsseler Bürokratie dominiert noch von den Regierungschefs manipuliert wird. Sondern das demokratisch legitimiert ist und auf das sich die Bürger verlassen können.

Das wird die beschworene Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht leichter machen. Die gegenwärtige tiefe Krise hat zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Nur wenn nationale Eigeninteressen durch konkretes Handeln aller überwunden werden, kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Ohne das wird Europa weiter vor sich hinsiechen.

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