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Zum Wohle der Kinder / Leitartikel von Felix Müller

04.07.2012 – 20:24 

Berlin (ots) -

Man muss der Bundesregierung für das neue Gesetz zum Sorgerecht keine Lorbeerkränze winden. Denn erstens sind es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht gewesen, die das Unzeitgemäße an der bestehenden Rechtslage erkannt haben. Und zweitens mussten stolze zwei Jahre ins Land ziehen, seitdem die Karlsruher Richter die bestehende Regelung gekippt haben. Jetzt erst liegt der Entwurf vor. Die Regierung hat also, könnte man sagen, nur ihre Arbeit gemacht. Inhaltlich weist das Gesetz in die richtige Richtung. Erinnern wir uns: 2010 hatte in Karlsruhe ein Vater geklagt, der sich noch während der Schwangerschaft von der werdenden Mutter getrennt hatte. Fortan lebte der Sohn im mütterlichen Haushalt, hatte aber regelmäßigen Umgang mit dem Vater. Dieser erkannte seine Vaterschaft an, während die Mutter ein gemeinsames Sorgerecht verweigerte. Das war für alle Beteiligten erträglich, solange die getrennte Familie wenigstens am selben Ort wohnte. Als die Mutter jedoch einen Umzug plante, musste der Vater befürchten, das Kind nur noch sehr selten und unregelmäßig sehen zu können. Er versuchte, sich das Sorgerecht (und das damit verbundene Aufenthaltsbestimmungsrecht) vor Gericht zu erstreiten - und scheiterte. Für das Sorgerecht, so die Begründung, fehle es an der nötigen Zustimmung der Mutter. Diese sei nach geltender Rechtslage eine unabdingbare Voraussetzung dafür. Dies will der vorliegende Gesetzentwurf nun ändern. Künftig kann das Sorgerecht auch gegen den Willen der Frau erlangt werden. Die Beziehung der Eltern, ob nun verheiratet, getrennt lebend oder im Patchwork verbunden, tritt hinter das Wohl des Kindes zurück. Und das ist gut. Denn zum einen hat sich die Vielfalt der Lebensstile in den letzten Jahren enorm vergrößert: Allein der Anteil nicht ehelich geborener und aufwachsender Kinder hat sich seit 1995 mehr als verdoppelt. Und zum anderen darf man bezweifeln, dass das mütterliche Sorgemonopol in seiner jetzigen Gestalt noch dem Zeitgeist entspricht. Das Selbstbild des Mannes hat sich verändert, er ist heute viel weniger der abwesende, weil ständig arbeitende Versorger, der er jahrzehntelang gewesen ist. Er ist Ansprech- und Diskussionspartner, Mitspieler und Gefährte. Das ist überall in Europa so. Wer noch die rührenden Bilder nach dem Abpfiff des EM-Finales vor Augen hat, wer sich daran erinnert, wie selbstvergessen Fernando Torres oder David Silva mit ihren Kindern auf dem Rasen spielten, der sollte sich nur einmal vorzustellen versuchen, ob das schon 1990 denkbar gewesen wäre, als die Deutschen in Italien mit heiligem Ernst Weltmeister wurden. Heute kann man es überall beobachten - vor den Kitas am Vormittag und auf den Spielplätzen am Nachmittag. Es hat sich viel verändert. Von Ausnahmen abgesehen: Männer sind heute deutlich bessere Väter, als sie es noch vor 20 Jahren waren. Wie schön, dass dies nun auch der Gesetzgeber anerkennt.

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