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SNF: Ausbreitung des Aids-Erregers HIV in der Schweiz

06.05.2010 – 08:00 

Bern (ots) -

Spritzenabgabe hilft nicht nur Drogensüchtigen
Erstmals haben Forschende der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie 
auf molekularer Ebene rekonstruiert, wie sich der Aids-Erreger HIV in
den letzten 30 Jahren in der Schweiz ausgebreitet hat. Die Daten 
zeigen, dass die 1986 eingeführte Abgabe von sterilen Spritzen an 
Drogenabhängige auch viele Menschen vor der Krankheit bewahrt hat, 
die nicht drogensüchtig sind. Eine Botschaft, die insbesondere auch 
für Länder wichtig ist, wo die Abgabe von sterilen Spritzen noch 
nicht eingeführt ist.
Seit dem Auftreten der ersten Fälle in den frühen 1980er-Jahren 
rollt eine Infektionswelle über die Schweiz. Jahr für Jahr stecken 
sich mehrere hundert Menschen mit dem HI-Virus an, das die 
Immunschwächekrankheit Aids auslöst. Folgt diese Ausbreitung 
irgendwelchen Mustern? Unterscheiden sich diese Muster zwischen 
verschiedenen Übertragungsgruppen wie Drogensüchtigen, Homo- oder 
Heterosexuellen?
Diesen Fragen gingen vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) 
unterstützte Forschende mit Hilfe modernster molekularer Methoden 
nach. Bei ihrer soeben im Fachmagazin «The Journal of Infectious 
Diseases» publizierten Untersuchung (*) konzentrierten sie sich auf 
den HIV-1 Subtyp B, der in der Schweiz etwa 70 Prozent aller Fälle 
ausmacht. Sie bestimmten das HIV-Erbgut bei 5700 anonymisierten 
Menschen, die sich zwischen 1981 und 2007 mit dem Erreger infiziert 
hatten. Ihre Idee: Je ähnlicher die Viren von zwei Patienten, desto 
grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich beieinander 
angesteckt haben. So bestimmten die Forschenden in Zusammenarbeit mit
Kollegen der ETH Zürich so genannte Übertragungsketten, in denen das 
Virus von einem Patienten auf den nächsten weitergegeben wurde.
Zwei unterschiedliche Übertragungswege
Insgesamt fanden die Forschenden 60 verschiedene Übertragungsketten, 
in denen sich mindestens je zehn Menschen mit HIV angesteckt hatten. 
Doch alle diese Ketten gehörten einem von nur zwei Kettentypen an: 
Einerseits Übertragungsketten, die sich hauptsächlich aus 
suchtkranken Menschen, die sich Heroin oder andere Drogen in die 
Blutgefässe spritzen, und aus Heterosexuellen zusammensetzen; und 
andererseits der Kettentyp, in dem sich das Virus vorwiegend unter 
homosexuellen Männern verbreitet. Die Ketten mit Drogensüchtigen und 
Heterosexuellen umfassten im Schnitt 144 Patienten; in der grössten 
Übertragungsgruppe infizierten sich sogar 1051 Menschen. 
Studienleiter Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich führt 
dies vor allem auf die einfachere Verbreitung im Drogenmilieu zu 
Beginn der Epidemie zurück: «Das Virus gelangte durch den Austausch 
verseuchter Spritzen von ein paar anfänglich infizierten Personen 
rasch vom Blut eines Drogensüchtigen in das des nächsten», sagt er. 
Bei Homosexuellen dagegen, wo das Virus durch Geschlechtsverkehr 
übertragen wird, erfolgt die Ausbreitung in viel kleineren Ketten: In
den Übertragungsketten der Homosexuellen steckten sich weniger 
Partner - durchschnittlich 29 Menschen - an.
Wichtige Rolle des Drogenstrichs
«Interessanterweise fanden wir keine Übertragungsketten, in denen das
Virus vorwiegend von Heterosexuellen weitergegeben wurde», sagt 
Günthard. Das bedeutet, dass die treibenden Faktoren für die 
Ausbreitung der Epidemie in der Schweiz eindeutig die 
Infektionsketten unter Homosexuellen und Drogensüchtigen einerseits, 
sowie im Ausland erworbene Infektionen andererseits waren. Allerdings
schwappte das Virus immer wieder von einer Gruppe zur anderen. So 
stammt beispielsweise jedes neunte HI-Virus bei Heterosexuellen aus 
den Übertragungsketten der Homosexuellen. Während es zwischen 
Homosexuellen und Drogenabhängigen kaum zu Ansteckungen kommt, war 
die Infektion Heterosexueller durch Drogenabhängige vor allem in den 
frühen 1980er-Jahren sehr häufig. «Eine wichtige Rolle nahm dabei 
sicher der Drogenstrich ein», sagt Günthard.
Die Zahlen der Forschenden zeigen aber, dass die Ansteckungen 
zwischen Drogensüchtigen und Heterosexuellen später stark abnahmen. 
Das liege vor allem daran, dass die Epidemie unter den 
Drogensüchtigen dank der 1986 lancierten Abgabe steriler Spritzen - 
im Austausch gegen die gebrauchten - eingedämmt werden konnte. Dies 
habe dazu geführt, dass sich auch weniger heterosexuelle Menschen mit
HIV infizierten. Die Spritzenaustauschprogramme schützten also die 
gesamte Gesellschaft. Laut Günthard ist dies eine international 
wichtige Botschaft. Denn obwohl Spritzenabgabe-Programme weltweit 
inzwischen in 77 Ländern vorhanden sind, bleibt sie in vielen Ländern
umstritten und wurde etwa in Island, in der Türkei und im Kosovo 
immer noch nicht eingeführt.
(*) Roger D. Kouyos, Viktor von Wyl, Sabine Yerly, Jürg Böni, 
Patrick Taffé, Cyril Shah, Philippe Bürgisser, Thomas Klimkait, 
Rainer Weber, Bernard Hirschel, Matthias Cavassini, Hansjakob Furrer,
Manuel Battegay, Pietro L. Vernazza, Enos Bernasconi, Martin 
Rickenbach, Bruno Ledergerber, Sebastian Bonhoeffer, Huldrych F. 
Günthard and the Swiss HIV Cohort Study (2010). Molecular 
Epidemiology Reveals Long-Term Changes in HIV Type 1 Subtype B 
Transmission in Switzerland. The Journal of Infectious Diseases 
201(10):1488-1497
(als PDF beim SNF erhältlich; E-Mail: pri@snf.ch)
Schweizerische HIV-Kohorten Studie
Das Ziel der seit 1988 bestehenden Studie ist, die Krankheit Aids 
besser zu verstehen sowie die Betreuung der Patientinnen und 
Patienten zu verbessern. Bisher haben sämtliche in der Schweiz auf 
HIV-spezialisierte Kliniken (Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, St.
Gallen und Zürich) Daten zum Krankheitsverlauf von über 16'000 
HIV-infizierten Menschen gesammelt und ausgewertet. Zurzeit nehmen 
über 7500 Personen an der Schweizerischen HIV-Kohorten Studie teil, 
davon sind fast ein Drittel Frauen.
http://www.shcs.ch
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: www.snf.ch > Medien > 
Medienmitteilungen

Kontakt:

Prof. Dr. med. Huldrych Günthard
Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zürich
Tel.: +41 (0) 44 255 34 50
E-Mail: huldrych.guenthard@usz.ch