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BERLINER MORGENPOST

Europa braucht Solidarität
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

01.10.2012 – 20:29

Berlin (ots)

Was haben die deutsche Wiedervereinigung und der europäische Einigungsprozess gemein? Sie sichern uns Frieden und Freiheit. Es sind die Grundlagen dafür, dass jeder den Lebensweg wählen kann, den er zu gehen wünscht. Mit der nationalen Einheit vor 22 Jahren ist der Kalte Krieg zwischen Ost und West glücklich beendet worden. Das grenzenlose Europa andererseits sichert dem Kontinent ein friedliches Zusammenleben, von dem früheren Generationen nicht zu träumen wagten. Für zu viele Deutsche sind diese Errungenschaften zur Selbstverständlichkeit geworden. Ein Blick über den nationalen und europäischen Tellerrand zeigt uns etwas anderes.

Bundespräsident Joachim Gauck hat Recht, wenn er, der Unfreiheit jahrzehntelang erlebt hat, vor dem Tag der Deutschen Einheit darauf verweist, dass das geeinte Deutschland wie das sich integrierende Europa mehr ist als das Versprechen ökonomischen Wohlstands. Rechtstaatlichkeit und Freiheit stehen für ihn weit über der Sorge, ob die Menschen genug Geld verdienen und ob Prosperität und finanzielle Sicherheit gewährt sind. Das mag angesichts einer sich weiter öffnenden Schere zwischen Best- und Schlechtverdienern und der Spekulationen (im doppelten Wortsinn) um die europäische Gemeinschaftswährung für viele wenig überzeugend, gar zynisch klingen. Es bleibt dennoch richtig. Denn was wäre materieller Wohlstand, wenn es ihn denn unter diesen Bedingungen überhaupt geben sollte, ohne Freiheit wert? Auch darüber einmal wieder nach zudenken, lohnt sich an einem Tag wie dem der Deutschen Einheit.

Dass es Freiheit und Einheit weder zum Nulltarif noch über Nacht gibt, haben wir in den vergangenen 22 Jahren erfahren. Ohne Solidarität, die noch immer von manchen bezweifelt wird und deren angebliche Verweigerung die Linkspartei mit ihren SED- Wurzeln weiter für sich instrumentalisiert, wäre Deutschland nicht schon wieder so eng zusammengewachsen, wie das - allen Mängeln zum Trotz - gelungen ist. Solidarität, mental wie finanziell, hat auch das derzeit so schwer kriselnde Europa wieder verdient. Wie die Ostdeutschen haben jetzt auch die Menschen im Süden Europas Integrationshilfen verdient, um in der erweiterten Gemeinschaft bestehen, ja mithalten zu können. Diesen Preis für die Freiheit und Einheit Europas zu zahlen ist ebenso sinnvoll und notwendig wie vor Jahren für die Vereinigung unseres Landes.

Helmut Kohl, der in diesen Tagen ob seiner Wahl zum Bundeskanzler vor 30 Jahren gewürdigt wird, hat seine politische Bedeutung eben aus dieser Erkenntnis gewonnen, dass ein vereintes, solidarisches Europa mehr zu sein hat als eine reine, von ökonomischen Daten bestimmte Wirtschaftsunion. Das politische Denken, Europa als Friedenswerk hatte für ihn Vorrang. Denn nur in einem einigen, Misstrauen überwindenden Europa sah Kohl die Chance auch für eine Wiedervereinigung unseres Landes. Deutscher und europäischer Einigungsprozess stehen deshalb in einer Wechselwirkung. Das sollten wir auch bedenken, wenn derzeit um die Rettung des Euro und die Einheit Europas gerungen wird.

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