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Der große Zinsirrtum, Marktkommentar von Kai Johannsen

Frankfurt (ots)

Seit rund zwei Wochen gibt es vom Markt der Bundesanleihen nichts anderes zu vermelden als Tiefstände bei den Renditen. Wie schon das gesamte Jahr über kennt der Markt nur eine Richtung, und die lautet gen Süden. In der zu Ende gegangenen Woche konnte dann ein besonderes Novum beobachtet werden. Da die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe unter die Marke von 1% fiel - am Freitag ging es wegen der Feuergefechte in der Ukraine bis auf 0,96% herunter -, war entlang der Kurve von Geldmarktpapieren mit sechsmonatiger Laufzeit bis hin zu ebendiesen zehnjährigen Papieren - bei der laufenden Rendite eine Null vor dem Komma. Mal ganz abgesehen davon, dass das kurze Ende immer wieder in den negativen Renditebereich abrutscht, die Anleger also noch Geld mitbringen, um Vater Staat Kredit geben zu dürfen. Für den Schuldner Bund ist das verständlicherweise eine ausgesprochen günstige Refinanzierungssituation, und zwar günstig im wahrsten Sinne des Wortes, denn entweder bekommt er Zinsen fürs Schuldenmachen, oder er zahlt keine oder muss nur noch Sätze im Nullkommabereich auf den Tisch legen, und das bis hin zu den Langläufern von zehn Jahren. Gut, bei 30 Jahren Laufzeit ist es mit knapp unter 1,90% auch nicht gerade teuer.

Weniger als 1 Prozent

Zehnjährige Bundesanleihen mit einer laufenden Verzinsung von weniger als 1%! Den meisten Bundesbürgern wird das kaum bewusst sein. Fragen Sie in Ihrem Bekannten- oder Freundeskreis doch mal nach, was langfristige Bundesanleihen oder Rentenfonds, die langfristige Bundespapiere halten, im Schnitt so abwerfen. Aus dem Bauch heraus werden die meisten antworten: "So um die 6%." Und aktuell findet sich noch ein entsprechendes Überbleibsel, nämlich beim Bund-Future, der auf eine idealtypische Bundesanleihe mit einer Restlaufzeit in ebendiesem Bereich und mit einem Kupon von 6% lautet. Eben deswegen notiert der Bund-Future ja auch mit Kursen von derzeit 150%. Zur Erinnerung: Der Bund-Future bzw. die Konstruktion dieses heute immer noch richtungsweisenden Zinsinstruments stammt aus der Zeit Ende der achtziger Jahre. Seinerzeit liefen die Vorbereitungen für den Start der Deutschen Terminbörse 1990, einer Vorgängerinstitution der heutigen Eurex. Und damals warfen zehnjährige Bundesanleihen eben um die 6% ab.

Heute ist es also gerade mal ein Sechstel oder aktuell noch ein klein wenig weniger. Viele Experten prognostizieren angesichts dieser niedrigen Marktrenditen der Bundesanleihen denn auch schon wieder steigende Sätze. Als die Zehnjahresrendite am vorigen Donnerstag gerade unter 1% gefallen war, hieß es etwa bei der Nord/LB schon wenig später: "Die derzeitigen Rahmenbedingungen - träge konjunkturelle Entwicklung, niedriger Preisdruck, geopolitische Konfliktlagen - haben dazu beigetragen, dass sich der Renditerückgang der letzten Monate noch einmal verschärft hat. Was dem deutschen Staatshaushalt hilft, ist Ausdruck einer spürbaren Verunsicherung vieler Investoren. Dennoch halten wir die aktuellen Entwicklungen für überzogen und rechnen auf Sicht wieder mit leicht steigenden Renditeniveaus." Das wurde in den vergangenen Jahren von vielen Marktteilnehmern immer wieder vorausgesagt. Die Anleiherenditen fielen aber immer weiter zurück.

Wirklich nur kurzfristig?

Es spricht nicht viel dafür, dass es sich nur um ein kurzfristiges Abrutschen unter 1% handelt und der Markt im zehnjährigen Bereich bald wieder bei 1,5%, 2% oder sogar noch darüber handeln wird. Von der deutschen Wirtschaftsentwicklung kommen nicht gerade Signale, dass der Konjunkturmotor zu überhitzen droht. Die Inflation läuft ebenfalls nicht aus dem Ruder; es geht vielmehr das Deflationsgespenst um. Die geopolitischen Krisenherde, so zeigt die Vergangenheit, waren meist nicht nach kurzer Zeit ad acta gelegt. Oftmals sind neue Krisen dazugekommen. Die Staatsschuldenkrise deckt die Europäische Zentralbank seit geraumer Zeit mit Liquidität zu. Und sie hat die Marktteilnehmer schon oft genug darauf eingestimmt, dass die Leitzinsen in der Eurozone niedrig bleiben werden. Das Tapering, das nach Einschätzung von Experten auch hierzulande die Anleiherenditen nach oben ziehen sollte, ist mittlerweile zu einem Non-Event geworden. Auch in den USA fallen die Bondrenditen zurück. Dieses Umfeld spricht insgesamt nicht gerade für höhere Anleiherenditen. Ganz im Gegenteil: Die Anleger sind wohl gut beraten, sich auf ein Niedrigrenditeumfeld einzustellen, das noch geraume Zeit - also Jahre - anhalten wird. Alles andere hat sich in der Vergangenheit als großer Zinsirrtum herausgestellt.

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