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Caritas Schweiz / Caritas Suisse

Forum der Caritas: Flexibilisierung - unterschätzte Bedrohung?

Luzern (ots)

Am 11. Januar 2002 hat in Bern das jährliche Forum
von Caritas Schweiz zum Thema -Der flexibilisierte Mensch"
stattgefunden. Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und
Wirtschaft sprachen über die Chancen und Risiken der Flexibilisierung
auf dem Arbeitsmarkt. Zu der Veranstaltung kamen rund 160 Personen.
Das Bildungssystem in Deutschland und der Schweiz muss dringend
den Anforderungen des modernen Arbeitsmarktes angepasst werden. Das
forderte Birger P. Priddat von der Universität Witten / Herdecke (D)
beim Forum der Caritas Schweiz in Bern. Die Flexibilisierung der
Arbeitswelt verlange zu den fachlichen Kompetenzen weitere
Qualifikationen: organisatorische und kommunikativ-soziale Kompetenz.
Das muss Auswirkungen haben auf die Bildungspolitik aber verlangt
auch gravierende sozialpolitische und arbeitsmarktliche
Veränderungen. Diese Bereiche müssen angepasst und flexibilisiert
werden. Der von Priddat angedachte Weg der Sozialen Fürsorge löst
sich von der Idee der Gleichbehandlung aller (zum Beispiel
Arbeitssuchende) und unterstützt die individuelle Förderung der
Einzelnen. "Statt abstrakter Gerechtigkeit müssen wir konkrete
Fairness" also Grundlage der Unterstützung ausbauen. Der Oekonom
sprach sich in Bern gegen das "Auszahlen für Nichtstun" aus und
schlug in seinem Referat eine Art "sozialen Vertrag" vor, der
Leistung des Sozialfürsorge und Gegenleistung der Arbeitssuchenden
regelt.
Ingrid Böhm und Jens Schneider, die das Institut für Produktives
Lernen in Berlin leiten, gehen davon aus, dass die Flexibilisierung
für persönliche Grundbedürfnisse eine Bedrohung darstellt, deren
Tragweite sehr unterschätzt wird. Der flexibilisierte Mensch kann nur
überleben, wenn den äusseren Anforderungen an Veränderung des
beruflichen und privaten Lebens eine hinreichende Sicherheit seiner
selbst entgegensteht, die es ihm ermöglicht, sich noch als genügend
entscheidungs- und handlungsfähig wahrzunehmen. Sonst wird Biografie
nichts anderes als ein Spiel gesellschaftlicher Kräfte, dem das
Individuum ausgeliert ist. Traditioneller Unterricht von heute stammt
aus einer Zeit, in der nicht Flexibilität, sondern dauerhafte,
prinzipiell lebenslange Anpassung an sich wenig verändernde
berufliche und gesellschaftliche Verhältnisse von Nutzen war. Ingrid
Böhm und Jens Schneider unterstützen eine Ausbildung, die auf
beruflicher Erfahrung und den Lebensbedingungen jedes und jeder
einzelnen aufbaut, während andere Modelle auf Vermittlung eines
Bildungskanons setzen.
Die Swisscom hatte nach der Freigabe des Telecom-Marktes
umfangreiche Restrukturierungsmassnahmen angekündigt. Laut dem
Personalchef der Swisscom, Rainer Titze, wurden in der Folge
Massnahmen ausgearbeitet, um Entlassungen mit beschäftigungswirksamen
Alternativprojekten zu verhindern. In diesem Zug wurde gemeinsam mit
Manpower und den Gewerkschaften die Beschäftigungsgesellschaft
Worklink gegründet. Ziel ist es, ältere, langjährige Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, die nach einem halben Jahr keine Stelle gefunden
haben, aktiv bei ihrer Reintegration in den Arbeitsmarkt zu
unterstützen, und zwar unter anderem mit Temporäreinsätzen. Laut
Charles Bélaz, dem Generaldirektor von Manpower, konnten von Januar
bis Dezember 2001 204 Personen Einsätze über rund 105'000
Arbeitsstunden vermittelt werden. "Wir gehen davon aus, dass bis 2005
jährlich zwischen 200 und 500 Mitarbeitende von Worklink wieder auf
den Arbeitsmarkt streben", umriss Rainer Tietze am Caritas-Forum das
ambitionierte Ziel.
Die Flexibilisierung ist nichts anderes als ein
Handlungsinstrument der Arbeitgebenden, betont die Anthropologin
Fenneke Reysoo vom Institut für Entwicklungsstudien an der
Universität Genf. Die traditionellen Familienmodelle sind in der
Schweiz nach wie vor stark verankert. Diese klassische Form der
Arbeitsteilung erlaubt dem Arbeitgeber, Frauen zu Bedingungen
anzustellen, die nicht einmal die Grundrechte der Arbeitnehmerin
sichern. Die Flexibilisierung jedoch könnte der Gesellschaft
Gleichberechtigung für Männer und Frauen bringen, wenn etwa die
Stundenpläne angepasst und öffentlicher Verkehr, die Wohnungspolitik
oder die Ladenöffnungszeiten neu organisiert würden.

Kontakt:

Caritas Schweiz
Löwenstrasse 3
6002 Luzern
Tel. +41/41/419'22'22

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