Alle Storys
Folgen
Keine Story von Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) mehr verpassen.

Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)

1. Mai-Ansprache von Bundespräsident Moritz Leuenberger in Interlaken-Unterseen

Interlaken (ots)

1. Macht der 1. Mai noch einen Sinn?
Danke für die Einladung. Ich habe einen Moment
gezögert. Soll ich dieses Jahr an einer Mai-Feier teilnehmen? Macht
der 1. Mai eigentlich noch einen Sinn?
Wenn ich etwa an Zürich denke, wo sich die ganze Diskussion um den
1. Mai nur noch darum dreht, wie sich die Stadt und die Läden vor
Gewalt, vor Vandalismus schützen, fragen sich viele: Ist das das Ziel
des 1. Mai?
Wenn ich an das Ritual des Absingens der Internationalen denke,
wenn ich mir diesen Text genau ansehe: 'Auf zum letzten Gefecht usw":
Sind dies die Probleme, die uns heute beschäftigen?
Aber auch wenn ich daran denke, was auf dem über 100 Jahre langen
Weg der Arbeiterbewegung und der Geschichte der Sozialdemokratie
alles erreicht worden ist: geregelte Arbeitsverhältnisse, gut
ausgebaute Sozialversicherungen, Schulen und Universitäten, die allen
zugänglich sind, auch denjenigen aus finanziell schlechten
Verhältnissen, so dass das 20. Jahrhundert schon als
sozialdemokratisches Jahrhundert bezeichnet wurde. Zu Recht, denn
ohne die Sozialdemokratie, ohne die Gewerkschaften wäre die Schweiz,
wäre Europa nicht so sozial, nicht so demokratisch wie heute.
Ist der 1. Mai überflüssig geworden?
Ich habe mir dann gesagt:
Seit über dreissig Jahren nehme ich am 1. Mai teil. Er hat mir
immer sehr viel bedeutet. Ich erinnere mich, wie ich früher in
romantischer, ja fast revolutionärer Stimmung feierte, wie ich mich
am 1. Mai mit meinen Freunden unterhalten habe über unsere Ideen der
Solidarität und darüber, wie die Schweiz sozial gestaltet werden
muss:
Da kann ich doch nicht ausgerechnet in diesem Jahr an das
Albisgüetli und den Automobilsalon gehen, aber nicht an den 1. Mai!
Ich musste mir aber auch sagen:
  • Gerade heute, wo nach dem Fall der Berliner Mauer die Globalisierung und der freie Welthandel als unsozial angeprangert werden und zum neuen Kriterium zwischen "links" und "rechts" werden,
  • gerade jetzt, wo öffentlich darüber diskutiert wird, was noch" sozialdemokratisch sei und was nicht,
  • gerade jetzt, wo sozialdemokratische Manager kritisiert werden, weil sie zuviel verdienen,
  • gerade jetzt, wo sich die Schere zwischen arm und reich wieder öffnet,
  • gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus wieder Fuss fasst, und zwar nicht nur nördlich der Grenzen sondern da, bei uns: - Gerade hier und jetzt, habe ich mir dann gesagt, muss ich an den 1. Mai.
  • Gerade heute muss ich auch die Frage beantworten, ob sozialdemokratische Regierungsvertreter den Ansprüchen, die sie selber früher an den 1. Maifeiern forderten, gerecht werden.
2. Die Ziele des 1. Mai
In den letzten 100 Jahren wurden an den Maifeiern mehr oder
weniger immer die gleichen Ziele gefordert:
  • Eine gerechte Gesellschaft, ein Staat, in welchem Chancengleichheit besteht. Das Recht auf Ausbildung, auf Freizeit und Kultur, auf Zugang zu den technischen Errungenschaften soll von allen wahrgenommen werden können.
  • Eine solidarische Gesellschaft: Alle sollen Arbeit haben und davon leben können. Auch bei Krankheit, auch im Alter soll das Leben menschenwürdig sein.
  • Keine Spaltung in eine 1., 2. und 3. Welt. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sollen überall Geltung haben.
  • Eine Welt ohne Hass, ohne Gewalt. Dies ist keineswegs eine leere Floskel, wie sie halt in jede 1. Mai-Rede gehört. Gerade Ihr in Unterseen habt erfahren, dass dies alles andere als selbstverständlich ist. Die schreckliche Abrechnung unter Jugendlichen, die im Banne rechtsextremer Gewaltfantasien gestanden sind, hat die ganze Schweiz aufgewühlt. Die Schweiz hat aber nach Unterseen geschaut, da Ihr an den Schulen, an Parteianlässen, mit Demonstrationen gezeigt habt: Wir wollen, dass sich so etwas nie mehr wiederholen kann. Ich danke Euch dafür, denn auch, um das zu unterstreichen, bin ich hierher gekommen.
3. Verrat am "sozialdemokratischen Jahrhundert"?
Auch zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts prägen
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die politische Landkarte
Europas. Teils regieren sie alleine, teils in Koalitionen mit
Kommunisten und mit Liberalen. Und teils nehmen sie ihre
Regierungsverantwortung, wie bei uns in der Schweiz, aus einer
Minderheitsposition wahr.
Doch halten diese sozialdemokratischen Regierungen und Minister im
neuen Jahrhundert, was sie im vergangenen 20. Jahrhundert versprochen
haben?
  • Sozialdemokraten treiben den gemeinsamen europäischen Markt voran und liberalisieren nationale Infrastrukturen wie Telekommunikation, Post, Bahn oder Stromversorgung.
  • Sozialdemokraten reformieren das öffentliche Gesundheitswesen und die Systeme der sozialen Sicherheit.
  • Sozialdemokraten haben vor zwei Jahren eine bewaffnete Intervention im Kosovo bejaht und bauen heute eine europäische Armee auf.
Tasten heute also ausgerechnet Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten die grossen Errungenschaften des
sozialdemokratischen Jahrhunderts" an: Den Service public? Die
soziale Sicherheit? Die Gewissheit, dass es nie wieder Krieg geben
dürfe?
Jedenfalls ist in unserer Partei und in den Gewerkschaften eine
engagierte Diskussion darüber entbrannt, auf welchen Wegen wir heute
zu unseren Zielen gelangen, was heute noch sozialdemokratisch" sei
und wer nicht.
4. Die tägliche Herausforderung
Auch ich stehe täglich vor dieser Frage:
- Ich bin der entschiedenen Meinung, dass zu grosse
Lohnunterschiede den sozialen Frieden auf Dauer gefährden. Mein Traum
war stets - und ist auch heute - eine Gesellschaft, in der alle
Menschen gleich viel verdienen. Trotzdem unterstütze ich die PTT- und
die Bahnreform, auch wenn eine Folge dieser Reformen nun ist, dass
die Kaderlöhne bei Swisscom, Post und SBB ebenfalls gestiegen sind.
Gewiss, es wäre einfacher gewesen, die SBB als Anstalt zu belassen,
statt sie in eine AG zu überführen und sie teilweise dem Wettbewerb
zu öffnen. Aber das wäre im Hinblick auf die Konkurrenz der Strasse
nicht verantwortungsvoll! Heute hat die SBB Marktanteile gewonnen,
und sie schreibt wieder schwarze Zahlen. Sie hat einen Stellenabbau
ohne Entlassungen durchgeführt, und sie hat Mindestlöhne, die weit
über den Tiefstlöhnen anderer Branchen liegen. Einverstanden,
vielleicht haben wir uns zu stark nur darauf konzentriert. Vielleicht
müssen wir in Zukunft auch für die hohen Löhne Richtlinien vorgeben.
Aber der wahre Skandal sind nicht die Löhne der Generaldirektoren.
Der wahre Skandal sind die Tiefstlöhne in der Privatwirtschaft, die
von der Fürsorge nachgebessert werden müssen, damit sie zum Leben
ausreichen. Der Skandal sind hunderttausende von working poors im
reichsten Land der Welt. Das ist der Schandfleck, der getilgt gehört,
und zwar nicht morgen, sondern heute.
Der Transportwahnsinn auf unseren Strassen - aber auch derjenige
im Luftverkehr! - entlockt uns gelegentlich nur noch ein
Kopfschütteln: Kartoffeln aus Italien, die zum Waschen nach
Deutschland gekarrt werden. Täglich zwei bis vier Lastwagenladungen
Pizzateig, die aus der Schweiz nach Italien unterwegs sind. Diese
Beispiele liessen sich beliebig vermehren. Wenn schon gehörten solche
Transporte auf die Schiene. So will es das Schweizervolk, und das ist
auch die Politik der Sozialdemokratischen Partei. Es führt kein Weg
an dieser Verlagerungspolitik vorbei. Dass er lang ist und nicht
sofort greift, weil uns nicht die nötigen Instrumente in die Hand
gegeben wurden, haben wir immer deutlich gesagt.
Ich kann der Logik der Börse nicht sehr viel abgewinnen. Trotzdem
schliesse ich nicht aus, dass der Bund eines Tages gezwungen ist,
weitere Aktienpakete der Swisscom oder ihrer Tochtergesellschaften zu
verkaufen. Das könnte nötig werden, um die Interessen der Swisscom
selbst zu wahren und auch um die Substanz des in diesem Unternehmen
angehäuften Volksvermögens zu erhalten.
5. Wider eine Verelendungspolitik
Ich erinnere mich noch gut: Als ich vor gut 30 Jahren in die
Sozialdemokratische Partei eintrat, verspotteten mich meine noch
linkeren Freunde: 'Jetzt ist Dein Weg zum Pflästerlipolitiker
vorgespurt".
Das war ein Schimpfwort. Ich stehe zur Pflästerlipolitik. Für mich
ist sie eine Verpflichtung:
Das Rote Kreuz macht Pflästerlipolitik. Unsere
Entwicklungszusammenarbeit ist Pflästerlipolitik. Eine Gewerkschaft,
die bei Entlassungen Sozialpläne aushandelt, macht Pflästerlipolitik.
Und so ist manchmal eben auch die Politik von uns Sozialdemokraten
Pflästerlipolitik.
Was wären die Alternativen dazu?
Eine Verelendungspolitik, die auf die heilende Kraft von
Katastrophen setzt? Das wäre verantwortungslos.
Wir dürfen uns einfach nicht damit begnügen, auf abstrakten
Prinzipien zu beharren und empört auf die böse Realität zu zeigen!
Es war immer eine Maxime der Sozialdemokraten und Gewerkschaften,
Verantwortung wahrzunehmen. Mit Gesamtarbeitsverträgen, mit
Referenden und Initiativen, durch die Arbeit im Parlament und auch
durch die Arbeit in Regierungen. Wir wollen Einfluss auf die
Gesellschaft nehmen, wir wollen uns an der Macht beteiligen, in den
Gemeinden, im Kanton, beim Bund.
6. Für eine Politik zugunsten der Benachteiligten
Doch es gibt in unseren Kreisen da und dort die Tendenz, sich
gegen alle Veränderungen kurzerhand zu wehren und den neuen Fragen,
die auf uns zukommen, auszuweichen.
Schauen wir auf unsere eigene Geschichte zurück:   
Sozialdemokratie und Gewerkschaften sind selber Kinder einer
epochalen Veränderung. Ihre Geburtsstunde war die industrielle
Revolution. Unsere politischen Vorväter sind damals nicht angetreten,
um sich gegen die Industrialisierung zu wehren, sondern es ging ihnen
immer darum, die Chancen dieser Entwicklung für alle zu mehren und
die Rechte der Betroffenen und der wirtschaftlich Benachteiligten zu
wahren.
Das war damals kein einfacher Weg, das ist heute kein einfacher
Weg.
7. Verantwortung statt Populismus
Wieviel leichter wäre es doch, wenn wir uns vom Hochsitz
programmatischer Reinheit aus mit Kritik an den Auswüchsen des
kapitalistischen Systems begnügen würden. Wieviel leichter wäre es,
immer nur Nein zu sagen. Man kann damit zwar sogar Wahlerfolge
erzielen. Aber wäre das auch verantwortungsvoll?
  • Ja, es wäre einfacher, die Oeffnung des Strommarktes zu bekämpfen. Auch ich habe mich lange gefragt: Muss das wirklich sein? Ist es nötig, dass der Strom ein paar Rappen billiger wird, wo das doch nur den Konsum und die Verschwendung anheizt? Aber wäre es auch verantwortungsvoll, einfach Nein zu sagen, und damit eine ungeordnete Oeffnung nach Wildwest-Manier zu provozieren, von der nur die Grossen profitieren könnten? Heute haben wir ein Gesetz, das den Service public sicherstellt und auch den kleinen Konsumentinnen und Konsumenten Wahlfreiheit ermöglicht. Ein Gesetz, das die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützt und die Wasserkraft und andere saubere Energien wettbewerbsfähiger macht. Unsere Fraktion im Bundesparlament hat diesem Gesetz den Stempel aufgedrückt. Es an der Urne abzulehnen, wäre wirklich ein Eigengoal.
  • Ja, es wäre einfacher, das Militärgesetz abzulehnen. Frieden schaffen mit Waffen? Nein danke! Aber wäre das auch verantwortungsvoll? Ganz sicher nicht! Sicherheit in Europa dient auch uns. Schweizer Soldaten müssen das Recht haben, sich selber zu schützen. Wir können uns um Friedensmissionen der UNO nicht einfach foutieren. So haben wir die schweizerische Neutralität nie verstanden, als egoistische Gesinnungsneutralität. Internationale Solidarität war für uns immer eine Selbstverständlichkeit, genau so wie wir uns immer für die Benachteiligten im eigenen Land eingesetzt haben.
8. Der aufklärerische Fortschritt geht weiter
Diese beiden Kernanliegen der SP und der Gewerkschaften lassen
sich nicht auseinander dividieren. Es ist kein Zufall, dass die
gleichen politischen Kräfte, die eine polemische Kampagne gegen das
Militärgesetz entfacht haben und die schon heute Stimmung gegen den
längst fälligen UNO-Beitritt machen, auch einen schwachen Staat
fordern, Steuerabbau propagieren, bei der Klimapolitik ein
Rechtsumkehrt fordern und bei der 11. AHV-Revision nur an eines
denken: ans Sparen und nochmals ans Sparen.
Abschottung nach aussen, Abbau im Innern.
Diese Zusammenhänge müssen wir all jenen klar machen, die glauben,
denen 'da oben" eins auswischen zu können, wenn sie sich zur extremen
Rechten gesellen.
Wir haben eine Verantwortung für alle, die in diesem Lande
benachteiligt sind. Sie leiden am meisten darunter, wenn der Staat
lächerlich gemacht wird, wenn die Solidarität verhöhnt wird, wenn
Nationalegoismus gepredigt wird.
Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben den
aufklärerischen Fortschritt stets vorangetrieben. Wir haben die
Chancen des wirtschaftlichen, des technologischen und kulturellen
Wandels genutzt zugunsten der Benachteiligten, zugunsten der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern, zugunsten der Umwelt.
Das ist unser Ziel auch heute und in Zukunft. Und mit unser" meine
ich wirklich auch uns alle. Die sozialdemokratischen Regierungen und
sozialdemokratischen Minister sind nur ein Teil der SP und der
Gewerkschaften. Der wichtigere Teil besteht in der Arbeit an der
Basis. Wir haben je unsere Funktionen. Aber wir haben das gleiche
Ziel. Das Ziel ist noch keineswegs erreicht.   Der 1. Mai ist nicht
überflüssig geworden.

Weitere Storys: Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)
Weitere Storys: Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK)
  • 24.04.2001 – 07:11

    Eckwerte für Staatsvertrag festgelegt

    Bern (ots) - Die Zukunftschancen für den interkontinentalen Flughafen Zürich-Kloten bleiben intakt. Die Schweiz und Deutschland haben eine politische Lösung im Ringen um den Staatsvertrag für den Anflugverkehr auf den Flughafen Zürich erzielt. Bundespräsident Moritz Leuenberger und Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig haben sich in den wichtigen Punkten auf Leitplanken für die kommenden Verhandlungen geeinigt. ...

  • 20.04.2001 – 10:29

    Stromverbrauch auch im Jahr 2000 auf Rekordhöhe

    Bern (ots) - Der Elektrizitätsverbrauch der Schweiz ist im Jahr 2000 um 2,3 % gestiegen (Vorjahr + 3,2 %). Der Mehrverbrauch ist vor allem auf den wirtschaftlichen Aufschwung zurückzuführen. Die einheimischen Kraftwerke erzeugten mit 65,3 Mrd. Kilowattstunden (kWh) 2,0 % weniger Elektrizität als im Rekordjahr 1999. Der Exportüberschuss sank 2000 auf 7,1 (10,2) Mrd. kWh. Der Elektrizitätsverbrauch ...

  • 19.04.2001 – 18:24

    Task Force will Stauräume innert Jahresfrist von A2 verbannen

    Bern (ots) - Die Task Force Lastwagentransit will innert Jahresfrist erreichen, dass auf der A2 keine sicherheitsgefährdenden Abstellräume mehr entstehen. Zu diesem Zweck wird in den kommenden Wochen ein Bündel von Vorschlägen auf die politische, finanzielle, rechtliche und betriebliche Machbarkeit überprüft. Im Vordergrund stehen Massnahmen in den Bereichen Zoll/Strasse in Basel/Chiasso. Abgelehnt werden ...