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Europas unruhige Sommerferien - Leitartikel von Hajo Schumacher

Berlin (ots)

Es könnte so ein schöner Montag werden. Die deutsche Elf im Viertelfinale, womöglich hat Özil endlich ins Turnier gefunden. Die Ferien beginnen, es soll warm werden, einige Schauer dazu - egal. Doch die Weltfinanz ist weit entfernt von sommerlicher Leichtigkeit. Wählen die Griechen sich an diesem Sonntag ganz demokratisch aus dem Euro, könnte dieser Montag ein schwarzer werden. Blenden wir knapp vier Jahre zurück. Was inzwischen gern verdrängt wird, kann sich durchaus wiederholen. Im September 2008 crashte die als unkaputtbar geltende Lehman-Bank. Vier Wochen später gab die Kanzlerin der großen Koalition eine Garantie für deutsche Sparguthaben ab. Paniknächte. Der damalige Finanzminister Steinbrück fragt sich bis heute, auf welcher rechtlichen Grundlage die Regierung eigentlich handelte. Es folgten ein gewaltiges Investitionsprogramm namens "Solidarpakt", Abwrackprämie und Kurzarbeit. Zwei Worte machten die Runde: "Vertrauenskrise" und "Kreditklemme". Und exakt diese beiden gekoppelten Phänomene können schon nächste Woche wieder die Weltfinanz beherrschen. Der Kreislauf des Geldverleihs droht zum Stillstand zu kommen, wenn das kollektive Vertrauen schwindet, dass geliehenes Geld eines Tages zurückgezahlt wird. Die Griechen plündern ihre Konten, die Spanier lauern auch schon am Geldautomaten. Wenn am Montag in aller Frühe die Börse in Tokio öffnet, wird sich zeigen, ob die Welt ein Lehman 2 erlebt. Obgleich sich die Banken auf Eventualitäten vorbereiten, gilt: Niemand weiß, was passiert und, vor allem, wie zu reagieren ist. Selten hat man Finanzexperten und Politik-Routiniers so hilflos erlebt. In ehrlichen Momenten gestehen selbst schlachterprobte Entscheider, dass die Lage ebenso komplex wie widersprüchlich sei. Der Krise ist mit brachialem Sparen nicht beizukommen; aber die Milliardenpumpe hilft auch nicht. Wo selbst dröhnende Experten nur mehr gefühltes Wissen verbreiten, da wuchern Emotionen. Im Haus Europa sieht längst jede Nation zu, wie sie sich selbst rettet. Teamspiel findet nicht statt, Brüsseler Rettungsszenarien finden keine Mehrheit. Die entscheidende Frage der kommenden Tage lautet: Siegt der kühle Kopf, oder erleben wir einen Kontinent in anschwellender Hysterie? Lässt sich Griechenland wirklich folgenlos aus dem Euro operieren, wie die Kanzlerin offenbar hofft? Die gute Nachricht: Wenn alle mit dem Beben rechnen, sind die Folgen meist überschaubar. Die schlechte: Gegenseitiges Misstrauen, gepaart mit historischen Ressentiments, begünstigt Kettenreaktionen. Sicher ist nur: Es wird unruhig die kommenden Wochen. Das Europa am Ende der Ferien ist womöglich ein anderes als am letzten Schultag. Der große Unterschied zu 2008: Damals regierte eine starke Kanzlerin mit einem verlässlichen Team, dem die Mehrheit der Deutschen vertraute. Die aktuelle Truppe bekommt nicht mal eine Abstimmung im Bundestag zustande. Handlungsfähigkeit im Sturm ist des Kapitäns kostbarstes Gut. Die SPD wird ihrer staatsbürgerlichen Pflicht auch diesmal nicht entkommen.

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