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Schweizerischer Gewerkschaftsbund SGB

Fehlende Lehrstellen, wachsende Jugendarbeitslosigkeit

Bern (ots)

Angesichts der dramatischen Lage - diesen Freitag
werden die neuesten (immer noch leicht beschönigten) Zahlen des 
Lehrstellenbarometers bekannt gegeben – fordert der SGB unverzüglich 
einen Pakt für die Beschäftigung, sowohl der Schul- wie der 
LehrabgängerInnen. Der folgende Beitrag benennt und begründet 
Massnahmen.
Jetzt endlich einen Pakt für die Beschäftigung der 
Jungen
Übersicht
Immer frühere, harte, oftmals demütigende Lehrstellensuche. Wenig 
zielgerichtete 10. Schuljahre oder andere Brückenangebote. Eine 
häufig nicht wunschgemäss verlaufende Lehre. Seit Jahren real 
sinkende Lehrlingslöhne. Nach dem erfolgreichen Lehrabschluss erste 
Arbeitslosigkeit. Und der ausgehöhlte Jugendschutz führt zu mehr 
Nacht- und Sonntagsarbeit für Jugendliche. Kurz: eine wachsende Zahl 
Jugendlicher wird ausgegrenzt. So kann es nicht weitergehen. Sonst 
wird ein grosser Teil einer ganzen Generation der Frustration 
beruflicher Perspektivenlosigkeit ausgesetzt. Der soziale Absturz 
mit den bekannten Folgen würde unvermeidlich. Die Aufwertung der 
beruflichen Bildung gegenüber der Allgemeinbildung mit dem neuen 
Berufsbildungsgesetz, der Berufsmatur und den neuen Fachhochschulen 
fände ein rasches Ende. Jetzt braucht es mehr als das Warten auf den 
Aufschwung, mehr als bundesrätliche und kantonale Appelle an die 
Wirtschaft, mehr als die bereits dank des politischen Drucks der 
Gewerkschaften und der Jugendverbände (Lehrstellen-Initiative, lipa) 
ergriffenen Massnahmen im Rahmen der TaskForce Lehrstellen 2003. Wir 
brauchen sofort einen Pakt für die wachsende Zahl der 
Schulabgänger/innen, insbesondere dort, wo die dualen 
Ausbildungsangebote fehlen, in den grösseren Städten:
  • Die fehlenden betrieblichen Angebote müssen mit zehn Prozent mehr vollschulischen Angeboten für zukunftsweisende Berufe (Handels- und Fachmittelschulen, öffentliche Lehrwerkstätten mit Angeboten auch für sozial Schwächere) kompensiert werden. - Lehren mit degressiven Schulanteilen (Basislehrjahr mit anschliessender beruflicher Praxis) sind besonders zu fördern. - Die Brückenangebote (10. Schuljahre usw.) brauchen einen klaren Bildungsauftrag; sie müssen überall gratis sein. - Für die sozial Schwächeren muss die Attest-Ausbildung (die aufgewertete Anlehre) vermehrt angeboten werden. - Branchenfonds sollen die Kosten der ausbildenden Betriebe auf alle Branchenteilnehmer verteilen. Einen Pakt für die Beschäftigung braucht es sofort auch für die arbeitslosen Lehrabgänger/innen:
  • Weiterbeschäftigung der Ausgelernten im Lehrbetrieb während eines Jahres, sofern dies nicht zu Lasten der beruflichen Grundbildung geschieht. - Die in der beruflichen Grundbildung nicht aktiven Betriebe, die grosse Mehrheit, übernehmen die Lehrabgänger/innen während eines Jahres zu einem Teilzeitpensum von 3 bis 4 Tagen die Woche zum branchenüblichen Grundlohn. Für die verbleibenden 1 bis 2 Wochentage werden im Rahmen eines „Paktes für die Beschäftigung der Jungen“ Weiterbildungsprogramme zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit angeboten. Finanziert wird diese Weiterbildung über den Pilotartikel der Arbeitslosenversicherung und, wo nötig und möglich, aus den paritätisch verwalteten Bildungsfonds. Damit erhalten die Jungen die fehlende berufliche Erfahrung und die erste vertiefende Weiterbildung. Die Betriebe müssen angesichts der immer noch unsicheren Konjunkturaussichten nicht für einen vollen Lohn aufkommen.
Begründung
Die zwei entscheidenden Schnittstellen im Leben der Jugendlichen
Die seco-Arbeitsmarktstatistik der 15- bis 24jährigen 
(„Volkswirtschaft“ 10/04), die Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, 
Aargau und Zug („AMOSA-Situationsanalyse 04“) und die Schweizerische 
Arbeitskräfteerhebung (Sake) des Bundesamtes für Statistik (BFS) 
unterstreichen, dass die Jugendarbeitslosigkeit trotz anziehender 
Konjunktur ein gravierendes und anhaltendes Phänomen ist. Die 
Jugendarbeitslosigkeit liegt einen Viertel höher als die 
durchschnittliche Arbeitslosigkeit mit steigender Tendenz. Für das 
2. Quartal 2003 waren nach Sake-BFS 51'000 Jugendliche erwerbslos. 
Gemäss seco meldeten sich aber in diesem Zeitraum bei der Regionalen 
Arbeitsvermittlung (RAV) nur etwa die Hälfte (23'000 Jugendliche) 
als arbeitslos.
Sowohl für das Verständnis der Entwicklung als auch für das 
Ergreifen von Massnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit ist es 
sinnvoll, die Jugendlichen nach zwei Altersgruppen gesondert zu 
betrachten. Es handelt sich zum ersten um die 15- bis 19jährigen (in 
der Regel Übergang von der Sekundarstufe I auf die Sekundarstufe 
II ) und zweitens um die 20- bis 24jährigen (Übergang vom Bildungs- 
ins Beschäftigungssystem, grossmehrheitlich mit Lehrabschluss auf 
Arbeitssuche). Es braucht Massnahmen für beide Altersgruppen.
1. Schnittstelle: 
Übergang Sekundarstufe I ins weiterführende Bildungssystem, 
Sekundarstufe II
Lehrstellenmarkt spielt zugunsten der Ausbildner und zu Lasten der 
Auszubildenden
Obwohl aufgrund des öffentlichen Druckes die von Bund, Kantonen und 
Wirtschaft ergriffenen Massnahmen in den letzten Jahren eine Zunahme 
des Lehrstellenangebotes bewirkten, spielt der Lehrstellenmarkt 
nicht. Er wird aufgrund der heute bekannten demografischen 
Entwicklung auch in den nächsten vier Jahren mit Bestimmtheit nicht 
spielen. Das Bundesamt für Statistik rechnet mit einer Zunahme der 
Lernenden in der Sekundarstufe II bis 2008. Allein für die 
Berufsbildung geht das BFS von einer jährlichen Steigerung von 5 bis 
11 Prozent aus. In den nächsten vier Jahren müssten demnach nur zur 
Aufrechterhaltung des unerfreulichen Status quo jährlich mehrere 
Tausend neue Ausbildungsplätze im dualen Berufsbildungssystem 
geschaffen werden.
Für einen funktionierenden Lehrstellenmarkt braucht es ein Angebot, 
das die Nachfrage um 12 bis 20 Prozent übersteigt. Davon können die 
Auszubildenden heute nur träumen. Der nachhaltige Nachfrageüberhang 
hat auch zur realen Senkung der durchschnittlichen Lehrlingslöhne 
geführt („Kosten und Nutzen der Lehrlingsausbildung“ 2003). Einige 
Ausbildner wollen diese unhaltbare Situation sogar mit dem Verkauf 
von Lehrstellen ausnützen (50'000 Franken für eine 
Informatiklehrstelle).
Viele Betriebe nutzten die schwierige Lage für zahlreiche 
Jugendliche aus, um eine verschärfte Selektion über eigene 
Testverfahren durchzusetzen. Sie stellen damit die Bedeutung der 
abgeschlossenen Volksschule in Frage.
Die Arbeitsbedingungen für die Auszubildenden verschlechtern sich in 
einigen Branchen weiter. Das seco hat bereits einige 
Globalbewilligungen für die Ausweitung der Nacht- und Sonntagsarbeit 
bewilligt. Der Bundesrat will demnächst das Jugendschutzalter 
generell von 19 auf 18 Jahre senken.
Lehrstellenbarometer und Lehrvertragsstatistik malen zu rosig
Am 15. Oktober 2004 wird wiederum das Lehrstellenbarometer 
veröffentlicht. Aufgrund der bereits veröffentlichten Zahlen aus 
Zürich und Basel dürfte es unsere Einschätzung im allgemeinen 
bestätigen. Das Lehrstellenbarometer und die Lehrvertragsstatistik 
färben allerdings die wirkliche Lage für die Auszubildenden zu 
rosig.
Der bisher einzige objektive Indikator zur Beobachtung des 
Lehrstellenmarktes, die Lehrstellenstatistik des BFS, muss heute 
ebenfalls mit einigen Fragezeichen gelesen werden. Das überall zu 
beobachtende Wachstum der Lehrstellenwechsler/innen – ein Phänomen, 
das auch mit dem Lehrstellenmangel verknüpft ist – kann mit dem 
heutigen Instrument nicht erfasst werden. Wer im Laufe der 
beruflichen Grundbildung zwei Lehrverträge abschliesst, wird in der 
BFS-Lehrvertragsstatistik doppelt gezählt. Dieser statistische 
Mangel wurde in der TaskForce Lehrstellen 2003 erkannt. Eine neue 
Erhebungsmethode wird vorbereitet. Bis es soweit ist, müssen die 
BFS- Zahlen leicht nach unten korrigiert werden.
Brückenangebote brauchen Bildungsauftrag
Aufgrund des Lehrstellenmarktversagens wurden regional und kantonal 
unterschiedliche Initiativen im Bereich der „Brückenangebote“ aus 
dem Boden gestampft. Das Nationale Forschungsprogramm 43 „Bildung 
und Beschäftigung“ sowie die an PISA anknüpfende Studie „Transition 
von der Erstausbildung ins Erwerbsleben“ (TREE) kommen zum Schluss, 
dass heute bereits rund ein Viertel der Schulabgänger/innen sich in 
der „instabilen Zone des Übergangs“ aufhalten muss. Diese 
grösstenteils kantonal und kommunal, teilweise aber auch privat 
finanzierten Zwischenlösungen wurden als kurzfristige Notlösung 
gegen eine noch grössere Jugendarbeitslosigkeit entwickelt. Sie 
untergraben aber langfristig die Bildungsgerechtigkeit und führen zu 
zeitraubenden Umwegen, ohne dass ein  harmonisierender und 
zielgerichteter Bildungsauftrag ersichtlich wird.
Marktversagen – der Staat muss handeln
Mit der Lehrstelleninitiative, lipa, wollten die Jugendverbände und 
der SGB dem Lehrstellenmarkt neue Impulse verleihen und neue duale 
Angebote schaffen. Bundesrat, Parlament und Wirtschaft versprachen, 
die Probleme ohne lipa selbst zu lösen. Die grosse Mehrheit der 
Stimmenden glaubte ihnen. Seither gab es in der Wirtschaft gemessen 
an den Bedürfnissen nur geringe Verbesserungen, die der gestiegenen 
Nachfrage nicht gerecht werden. Der Staat musste mit den 
Brückenangeboten kurzfristig einspringen. Weil die Versprechen nicht 
eingehalten wurden, sind nun vermehrt öffentlich finanzierte 
Berufsbildungsangebote mit einem klaren Bildungsauftrag anzubieten. 
Diese Angebote müssen auch die sozial Benachteiligten integrieren. 
Die Bildungsökonomen, die im Auftrag des BBT „Kosten und Nutzen der 
Lehrlingsausbildung aus der Sicht der Schweizer Betriebe“ erforscht 
haben, kommen zum gleichen Schluss: „Der Staat könnte antizyklisch 
vollschulische Ausbildungen anbieten, zum Beispiel Basislehrjahre. 
Diese müssten allgemeine Kompetenzen vermitteln, so dass sich die 
Absolvent/innen nach der Krise auf einen Beruf spezialisieren 
können, der vom Markt nachgefragt wird“ (Jürg Schweri, BUND 
28.1.04).
Das Argument, dass vollschulische Angebote nicht arbeitsmarktgerecht 
ausbildeten, ist mit der jüngsten Entwicklung ebenfalls entkräftet: 
Die Jugendarbeitslosigkeit ist in der deutschen Schweiz trotz sehr 
hohem Anteil an dualen, marktnahen Ausbildungen fast ebenso hoch wie 
in der französischsprachigen Schweiz, die einen viel höheren Anteil 
an vollschulischen Angeboten kennt.
Die Neuerungen im Berufsbildungsgesetz sofort umsetzen
Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz wurde die quantitativ nie 
bedeutende Anlehre von der Attest-Ausbildung für sozial 
Benachteiligte abgelöst. Dieses neue, nach oben durchlässige 
Berufsbildungsgefäss muss jetzt von der Wirtschaft umgesetzt werden.
Viele Berufsverbände möchten von der Möglichkeit der Schaffung von 
allgemein verbindlichen Berufsbildungsfonds in den Branchen Gebrauch 
machen. Dieses Instrument muss nun unbürokratisch rasch eingeführt 
werden.
Jugendschutz muss bleiben
Die zuständigen Behörden (seco) sind den Betrieben mit 
Globalbewilligungen für Nacht- und Sonntagsarbeit auch für 
Auszubildende weit entgegengekommen, in der Hoffnung, dass mehr 
Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt würden. Dies geschieht aber 
nicht. Der Bundesrat darf dem Druck der Wirtschaft zu Lasten der 
Jungen nicht nachgeben.
2. Schnittstelle: 
Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem
Ausgelernte werden ein Jahr weiterbeschäftigt
Die Jugendarbeitslosigkeit an dieser Schnittstelle entwickelt sich 
entlang der Konjunktur. Allerdings sind die 20- bis 24jährigen weit 
überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Prognosen 
für den konjunkturellen Aufschwung sind umstritten. Die Hoffnung, 
dass die Jungen mit dem Aufschwung automatisch ins 
Beschäftigungssystem gelangen können, ist selbst beim seco gering.
Die Vorschläge von AMOSA sind umzusetzen, reichen aber bei weitem 
nicht.
Die Forderung nach einer Weiterbeschäftigung der Ausgelernten im 
Lehrbetrieb während mindestens eines Jahres ist zentral. Zu beachten 
ist allerdings, dass dies nicht zu Lasten der 15- bis 19jährigen 
geschehen darf. Die AMOSA-Studie kann so gelesen werden, dass es 
wichtiger sei, jetzt Ausgelernte anstelle von Lehrlingen 
einzustellen, weil für die Schulabgänger/innen schon Möglichkeiten 
vorhanden seien. Es wäre aber verfehlt, diese beiden höchst 
sensiblen Altersgruppen gegeneinander auszuspielen. Geschähe dies 
aber trotzdem im grösseren Ausmass, wären unsere Forderungen nach 
erweiterten schulischen Angeboten mit klarem Bildungsauftrag in der 
ersten Schnittstelle umso wichtiger.
Damit das Herumreichen des Schwarzen Peters vermieden wird, sind 
jene Betriebe, die sich nicht an der beruflichen Grundbildung 
beteiligen – die grosse Mehrheit -, stärker herausgefordert, junge 
Ausgelernte einzustellen, als die in der beruflichen Grundbildung 
aktiven Betriebe.
Damit dies in einer konjunkturell noch unklaren Lage leichter 
geschieht, soll die Arbeitslosenversicherung mit ihrer Möglichkeit 
des Pilotartikels Finanzierungen von Weiterbildungen übernehmen.
Pakt der Sozialpartner für die Jugendbeschäftigung
In vielen Branchen sind paritätisch verwaltete, oft gut dotierte 
Bildungsfonds eingerichtet. Die Branchenverbände müssen deshalb nach 
praktikablen Modellen suchen, mit denen möglichst viele junge 
Arbeitslose sowohl den Weg ins Beschäftigungs- als auch ins 
Weiterbildungssystem finden. Die Branchenvertretungen der SGB-
Verbände werden deshalb in den nächsten Wochen entsprechende 
Vorschläge einbringen.
Auskunft: Peter Sigerist, Zentralsekretär Ressort Bildung, Fix 031 
377 01 23; Mob 079 404 56 85

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