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Für jeden ein bisschen Steuer-Medizin - Leitartikel

Berlin (ots)

Der sonntägliche Koalitionsbeschluss ist vor allem eines: eine Beruhigungspille. Die sechs Milliarden, um die die Koalition die heimischen Steuerzahler entlasten will, nehmen sich geradezu bescheiden aus im Vergleich zu den kaum noch zählbaren Milliarden, die Deutschland für die Rettung Griechenlands und des Euro verbürgt. Zumal ein Drittel davon, nämlich die zwei Milliarden aus der Anhebung des Grundfreibetrags, gar nicht auf schwarz-gelbem Mist gewachsen, sondern durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verordnet ist. Und mit dem, was letztlich beim Bürger ankommt, sind auch keine großen Sprünge zu machen. Im Wahljahr 2013 sollen es bei einem Durchschnittsverdiener etwa zehn Euro im Monat sein, ein Jahr später noch einmal etwa 15 Euro. Ohne großspurig zu sein, darf angezweifelt werden, ob ein Steuerzahler mit mittlerem Einkommen diese Ratenzahlung wirklich als Gewinn anerkennen wird. Doch die Medizin ist auch nur vordergründig für die Steuerpflichtigen gedacht. Ja, angesichts immer höherer Steuereinnahmen und gleichzeitig unvorstellbar hoher Bürgschaften für Athen und den Euro sollte den Bürgern ein bisschen guter Wille bekundet werden. Im Kern ging es der Koalition aber darum, sich selbst eine Beruhigungspille in hoher Dosierung zu verordnen. Nach zwei Jahren nervenaufreibender Streitereien bot sich jetzt die letzte Chance, Lebenswillen zu zeigen und einen Kompromiss zu finden, der allen Beteiligten den Kopf frei macht für eine vielleicht doch noch erfolgreiche zweite Regierungshälfte. Das könnte gelingen. Denn die Koalitionsbeschlüsse gehen über das leidige Steuerthema hinaus und räumen weitere interne Dauerfehden ab. Die FDP liefert endlich - wenn auch sehr bescheiden - ihre Steuersenkungen, die CSU bekommt die Milliarde für Verkehrsprojekte und das Betreuungsgeld, die CDU in Person Angela Merkels als Mittlerin zwischen den Kleinen zeigt bezweifelte Führungsstärke auch an der heimischen Front. Die von der Koalition geschluckte Beruhigungspille darf allerdings keine Müdigkeit auslösen. Der Streit über einen Quasi-Mindestlohn wabert weiter. Auch für ihn muss eine schnelle Lösung her, wenn Schwarz und Gelb geglaubt werden soll, dass sie es ernst meinen mit der inneren Stabilisierung der Koalition und damit mit dem Willen, bis 2013 sich nicht nur durchwursteln zu wollen, sondern zu regieren. Vielleicht wäre es finanzpolitisch sogar richtiger gewesen, die vier Milliarden Euro, statt sie als "Peanuts" in eine mickrige Steuerentlastung zu stecken, der Schuldentilgung zuzuführen. Das hätte die Koalition aber realpolitisch schwer ins Wanken gebracht. Welch hohen Wert eine stabile Regierung heute hat, lehrt uns gerade die europäische Existenzkrise. Das sollte auch die SPD bedenken, wenn das Steuerpaket im Bundesrat zur Abstimmung steht. Die Koalition übernimmt für den Bund die Kosten der bescheidenen Diät für den Mittelstandsbauch, die Länder haben allein die Steuerausfälle aus der Anhebung des Grundfreibetrags (zwei Milliarden Euro) anteilig mitzutragen. Eine Blockadepolitik à la Lafontaine 1997/98 wäre überzeugend schwer begründbar.

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