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Realismus kehrt zurück, Börsenkommentar "Marktplatz", von Thorsten Kramer.

Frankfurt (ots)

Mit den Meldungen über die bevorstehende Herabstufung mehrerer europäischer Länder durch die Ratingagentur Standard & Poor's ist an Europas Aktienmärkten vor dem Wochenende endlich wieder mehr Realismus eingezogen. Anlagestrategen hatten bereits seit Wochen vor neuen Rückschlägen im ersten Quartal des neuen Jahres gewarnt, schließlich fehlt nach wie vor eine umfassende Lösung für die Staatsschuldenkrise in Europa; der nach wie vor ausstehende Forderungsverzicht des Finanzsektors in Griechenland unterstreicht die Brisanz der Problematik. Doch Europas Aktienmärkte ließen sich davon lange Zeit kaum beeindrucken. Die Notierungen zogen vielmehr seit dem Jahreswechsel kräftig an, während der Euro auf das niedrigste Niveau seit 16 Monaten deutlich unterhalb von 1,27 Dollar abrutschte und der Bund bei der Auktion von Geldmarktpapieren sogar erstmals eine negative Rendite erzielte - ehe im Nachmittagshandel am Freitag eine Korrekturbewegung einsetzte.

Für die unterschiedliche Tendenz der Marktsegmente seit dem Jahresbeginn gibt es gute Gründe. So profitierten Aktien sicherlich davon, dass Staatsanleihen im Zuge der Schuldenkrise ihren Status als sicheres Investment verloren haben. Die Ratingmeldungen vom Freitag setzen dahinter ein Ausrufezeichen. Hinzu kommt, dass viele europäische Unternehmen inzwischen die Verschuldung gesenkt haben und somit finanziell sehr solide aufgestellt sind und die Dividendenrenditen ihrer Anteile häufig deutlich über den Renditen von Anleihen solider Schuldner wie der Bundesrepublik liegen.

Zudem eröffnen sich den Aktienkäufern auf dem aktuell enorm niedrigen Bewertungsniveau langfristig hohe Renditechancen - vorausgesetzt, es bleiben erneute, stark belastende Hiobsbotschaften aus. Hinzu kommt, dass Aktien einen Sachwert darstellen und sie in Zeiten steigender Inflation eine recht gute Absicherung versprechen, wie die Historie zeigt; einen kräftigen Anstieg der Teuerung in den folgenden Jahren halten viele Beobachter weiterhin für möglich.

Dies alles reicht allerdings nicht, um die zurzeit hohen Risiken einfach auszublenden. Schließlich steht die Eurozone nun am Rande der Rezession, und selbst das Auseinanderbrechen der Eurozone ist immer noch denkbar. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Kursverluste vom Freitag lediglich der Auftakt einer mittelfristig anhaltenden Abwärtsbewegung gewesen sind. Investoren haben zwar bereits viel Negatives eingepreist, nun stellen sich allerdings neue Fragen wie etwa die, inwieweit der Rettungsschirm EFSF von einer Ratingkürzung betroffen ist.

Hinzu kommt, dass der viel beachtete Sentimentindikator der American Association of Individual Investors (AAII) inzwischen ein Niveau erklommen hat, auf dem in der Vergangenheit in der Regel eine Korrekturphase einsetzte. Ein ähnlich ausgeprägter Optimismus der Investoren zeigte sich beispielsweise zu Beginn des Jahres 2010 sowie im November desselben Jahres. In beiden Fällen schloss sich daran eine mehrwöchige Korrekturphase an, die auch den europäischen Aktienmarkt erfasste. Der EuroStoxx50 verlor damals im Januar rund 7% und im November knapp 4,5%.

Anleger, die sich defensiv positioniert und ausreichend diversifiziert haben, können sich das allerdings ohne übermäßige Nervosität ansehen, wenn die Prognosen der meisten Banken zutreffen, die in ihren Basisszenarien von einer Stabilisierung der Konjunktur schon ab dem Frühjahr sowie einem Fortbestand der Eurozone ausgehen. Investoren sollten deshalb in den nächsten Wochen den Blick auf die politische Entwicklung und die Frühindikatoren dies- und jenseits des Atlantiks richten. Fallen die Daten wie zuletzt sehr häufig besser als erwartet aus und signalisieren sie dabei eine weitere, wenn auch moderate Belebung, ist dies voraussichtlich bereits die Basis für eine stärkere Entwicklung der Aktienmärkte im zweiten Halbjahr. Damit Anleger darauf vertrauen und sich wieder offensiver an den Börsen positionieren, muss Europas Politik aber zunächst für mehr Klarheit sorgen.

Von der Berichtssaison sind für den Gesamtmarkt keine trendbrechenden Impulse zu erwarten. Sicherheit gibt es immerhin, dass sowohl Dax als auch EuroStoxx50 bei gleichbleibendem Kursniveau selbst dann noch als günstig bewertet anzusehen sind, wenn Analysten die Gewinnprognosen um weitere 20% senken sollten. Dies unterstreicht die Einschätzung, dass die Indizes auf der Unterseite spätestens auf Höhe des Buchwertes Unterstützung finden. Im Dax liegt diese Unterstützung bei etwa 5200 Zählern.

(Börsen-Zeitung, 14.1.2012)

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