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Gutachten des EFTA-Gerichtshofes zum Wohnsitzerfordernis

Vaduz (ots)

Entscheidung der VBI steht noch aus
Der EFTA-Gerichtshof ist in einem Gutachten vom 22.
Februar 2002 zur Auffassung gelangt, dass das Wohnsitzerfordernis für
die Ausübung der Tätigkeit eines qualifizierten Verwaltungsrates
einer juristischen Person nicht EWR-konform sei. Die
Verwaltungsbeschwerdeinstanz (VBI) wird nun in einem laufenden
Beschwerdeverfahren zu entscheiden haben, wie das Gutachten des
EFTA-Gerichtshofes konkret zu berücksichtigen ist.
Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz des Fürstentum Liechtensteins
unterbrach im März 2001 das nationale Verfahren in einem anhängigen
Beschwerdeverfahren wegen der Anwendung von Art. 180a des Personen-
und Gesellschaftsrechtes (PGR) und rief den EFTA- Gerichtshof um
Stellungnahme hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit
dem EWR-Abkommen an. Gemäss Art. 180a PGR muss wenigstens ein
Verwaltungsrat einer liechtensteinischen Verbandsperson im Inland
wohnhaft sein und die inländische Berufszulassung als Rechtsanwalt,
Rechtsagent, Treuhänder oder Wirtschaftsprüfer besitzen.
Der EFTA-Gerichtshof ist in seinem Gutachten vom 22. Februar 2002
der Argumentation der liechtensteinischen Regierung nicht in allen
Bereichen gefolgt und hat erklärt, dass das Wohnsitzerfordernis des
Art. 180a PGR nicht mit dem EWR-Abkommen vereinbar sei. Liechtenstein
hatte vorgängig argumentiert, dass das Wohnsitzerfordernis des Art.
180a PGR keine diskriminierende Massnahme darstelle und somit keine
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit bedeute.
Als Begründung brachte Liechtenstein vor dem EFTA-Gerichtshof vor,
dass das Wohnsitzerfordernis des Art. 180a PGR nicht diskriminierend
angewendet werde, da auch Liechtensteiner und Liechtensteinerinnen
mit Wohnsitz ausserhalb Liechtensteins nicht in die Art.
180a-PGR-Liste eingetragen werden können. Falls dennoch das
Wohnsitzerfordernis des Art. 180a PGR geeignet wäre, sich zum
Nachteil von Angehörigen anderer EWR-Staaten auszuwirken, so wäre
diese Massnahme aufgrund von legitimen Interessen Liechtensteins,
insbesondere zur Gewährleistung einer wirkungsvollen Beaufsichtigung
des Finanzplatzes, gerechtfertigt und daher mit dem EWR-Abkommen
vereinbar. Liechtensteins Argumentation beruhte vor allem darauf,
dass ein liberales Gesellschaftswesen komplementäre Massnahmen
erfordere, um das Funktionieren und die effektive Kontrolle des
Finanzplatzes sicherzustellen.
Der EFTA-Gerichtshof gab Liechtenstein insofern Recht, als das
Wohnsitzerfordernis keine offene Diskriminierung darstelle, jedoch
sei die Bestimmung in Art. 180a PGR als versteckte Diskriminierung
von Angehörigen anderer EWR-Staaten zu qualifizieren. Hinsichtlich
der Rechtfertigungsgründe hielt der EFTA-Gerichtshof explizit fest,
dass es Liechtenstein unbenommen sei, ein liberales
Gesellschaftswesen zu haben, und dass die mit dem Wohnsitzerfordernis
des Art. 180a PGR verfolgten Zwecke, nämlich der Schutz des
Funktionierens und des guten Rufes des Finanzdienstleistungssektors
sowie die Aufrechterhaltung der effektiven Kontrolle, ein legitimes
Interesse Liechtensteins darstellten. Doch gebe es weniger
einschneidende Massnahmen als das Wohnsitzerfordernis, um diese
Zwecke zu erreichen.
Generell ist zu dem Gutachten auszuführen, dass sich der EFTA-
Gerichtshof mit einer Anzahl der von Liechtenstein vorgebrachten
Argumenten nicht im Einzelnen auseinandersetzte, sondern es bei einer
abstrakten Beurteilung der Rechtsfrage beliess.
Die Verwaltungsbeschwerdeinstanz wird nach der Verkündung des
Gutachtens durch den EFTA-Gerichtshof das anhängige
Beschwerdeverfahren wegen des Wohnsitzerfordernisses von Art. 180a
PGR wieder aufnehmen und unter Berücksichtigung des Gut- achtens des
EFTA-Gerichtshofs entscheiden. Da allerdings der EFTA-Gerichtshof
einige der von der liechtensteinischen Regierung vorgebrachten
Argumente unbeachtet gelassen und ausdrücklich keine
Tatsachenwürdigung vorgenommen hat, verfügt die Verwal-
tungsbeschwerdeinstanz in ihrer Entscheidung über einen bestimmten
Spielraum.
Die Regierung wird das Gutachten des EFTA-Gerichtshofes eingehend
diskutieren und nach Vorliegen der Entscheidung der
Verwaltungsbeschwerdeinstanz die Auswirkungen der Nichtvereinbarkeit
des Wohnsitzerfordernisses in Art. 180a PGR mit dem EWR-Abkommen
sowie allfällig zu treffende Massnahmen prüfen.
Kontakt:
Stabsstelle EWR (+423/236'60'37)

Kontakt:

Presse- und Informationsamt des Fürstentums Liechtenstein (pafl)
Tel. +423/236'67'22
Fax +423/236'64'60
Internet: http://www.presseamt.li

Nr. 80

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