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Viel zu große Erwartungen/ Ein Kommentar von Felix Müller

06.04.2014 – 20:15  BERLINER MORGENPOST    [newsroom]

Berlin (ots) -

Ich hatte das mit "Wetten, dass..?" eigentlich ganz anders geplant. Also: Mit dem Text, den ich am Samstagabend darüber schreiben sollte. Mir war aufgefallen, wie sehr meine eigene Kindheit mit dieser Sendung nostalgisch verknüpft ist. All die unzähligen Male fielen mir ein, die ich als Junge vor dem Fernseher gesessen hatte und mitgefiebert hatte mit Menschen aus Schweinfurt oder Rheda-Wiedenbrück, die Telefonbücher zerreißen oder mit Hubschrauberkufen auf einer Schreibmaschine Gedichte tippen wollten. Also heizte ich meinen eigenen Sohn an, er ist knapp sechs: Hier stehe Ungeheures bevor, sagte ich ihm, und er dürfe so lange aufbleiben, wie er wolle. Die Begeisterung war groß, die Müdigkeit stärker: Es war noch nicht mal 21 Uhr, als auf dem Bildschirm eine fliegende Toastbrotscheibe von einem Pfeil durchbohrt wurde. Mein Sohn lag im Tiefschlaf.

Das sagte noch nicht viel über die Sendung, aber es schien mir doch wie ein Zeichen. Das Familienfernsehen, wie es jahrzehntelang von "Wetten, dass..?" verkörpert wurde, hat aufgehört zu existieren. Der Druck, der davon ausgeht, etwas nicht verpassen zu dürfen: Dieses Format vermag ihn nicht mehr zu erzeugen, schon lange nicht mehr. Und damit könnte man sogar seinen Frieden schließen. Man könnte sagen, dass mehr als sechs Millionen Zuschauer ein guter Wert ist, besser immer noch als die erfolgreichsten Formate des Privatfernsehens. Aber so viel Realismus ist offenbar bei "Wetten, dass..?" nicht zu haben. Das hat etwas mit Erwartungen zu tun und mit dem Stolz, einmal die erfolgreichste Show Europas ausgestrahlt zu haben. Weder Madonna noch Michael Jackson konnten sie ignorieren. Die Tragik liegt nun darin, dass diese Erwartungen keinen Rückzug dulden, keine Neuerfindung mit weniger Zuschauern, einem anderen Konzept, einer offenen Zukunft.

Alle wollen, dass "Wetten, dass..?" das Flaggschiff bleibt, das es schon lange nicht mehr ist. So hat die Sendung keine Zukunft.

Der Kommentar im Internet: www.morgenpost.de/126636943

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