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Schweizer Presserat - Conseil suisse de la presse - Consiglio svizzero della stampa

Media Service: Schweizer Presserat; Stellungnahme 52/2009 Parteien: Oberstufenzentrum Zil, St. Gallen c. «20 Minuten»

Interlaken (ots)

Wahrheitspflicht
I. Sachverhalt
A. Am 4. Mai 2009 berichtete «20 Minuten» unter dem Titel 
«Amok-Drohung an Schule», ein 14-jähriger Schüler des 
Oberstufenzentrums Zil, St. Gallen, habe in der Vorwoche angekündigt,
mit einer Waffe seines Vater in die Schule zu kommen und alle 
umzubringen. Dies habe eine Mitschülerin der Zeitung gesagt. Einige 
Schüler hätten danach Angst gehabt, in den Unterricht zu gehen und 
hätten sich deshalb krankgemeldet. Gemäss dem Schulleiter sei das 
Ganze jedoch unter Kontrolle. Ein Gespräch mit dem betroffenen 
Schüler habe gezeigt, dass ihm der Satz mit der Amokdrohung bloss 
herausgerutscht sei. Illustriert ist der Artikel mit einem Bild des 
Oberstufenzentrums Zil. Die Bildlegende lautet: «Oberstufenzentrum 
Zil in St. Gallen: Hier kam es zur Drohung.»
B. Am 5. Mai 2009 gelangte der Schulleiter des Oberstufenzentrums 
Zil, Rudolf Hanselmann, mit einer Beschwerde an den Presserat. Der 
reisserische Titel «Amok-Drohung an Schule» und die Bildlegende 
«Oberstufenzentrum Zil in St. Gallen: Hier kam es zur Drohung» 
entbehrten jeglicher Grundlage und verstiessen damit gegen die Ziffer
1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und 
Journalisten». Dem Autor des Berichts sei auf telefonische Anfrage 
von Schulleiter, Stadtpolizei und Schulamt bestätigt worden, dass zu 
keiner Zeit eine Amokdrohung noch irgendeine andere Gefahr bestanden 
habe. Es sei fahrlässig, telefonische Aussagen eines angeblichen 
Schülers ohne eigene Abklärungen zu zitieren. Tatsächlich sei 
Folgendes passiert: Einem Schüler, der sich von Mitschülern 
provoziert fühlte, sei der Kragen geplatzt und er habe sich zum 
unbedachten Satz hinreissen lassen: «Wenn mein Vater ein Gewehr 
hätte, würde ich euch am liebsten 'abschüsse'.» Der Vater habe 
übrigens keine Waffe. Als die Schulleitung davon erfahren habe, sei 
umgehend die Schulsozialarbeiterin eingeschaltet und der Konflikt in 
einem Gespräch mit den beteiligten Schülern bereinigt worden. Um 
Gerüchten vorzubeugen, sei die Lehrerschaft, die Schülerschaft, das 
Schulamt und die Polizei informiert worden. Der ganze Sachverhalt sei
dem Journalisten bekannt gewesen.
C. Am 10. Juli 2009 wies Thomas Bolzern, der Autor des Berichts, 
die Beschwerde namens der Redaktion St. Gallen von «20 Minuten» als 
unbegründet zurück. Am 30. April 2009 habe ihn ein Schüler des 
Oberstufenzentrums Zil angerufen und sich über die Situation an der 
Schule besorgt gezeigt. Ein Mitschüler habe vor ihm folgende Worte 
gesagt: «Ich nehme die Knarre meines Vaters und bringe euch alle um.»
Er habe den Schüler an die Polizei verwiesen und zudem versprochen, 
mit dem Schulleiter Kontakt aufzunehmen. Dies habe er am 4. Mai 2009 
getan. Er habe dem Schulleiter seinen bisherigen Wissenstand 
geschildert und zudem den exakten Wortlaut des Ausspruchs zitiert. 
Von der Konjunktiv-Form «Wenn mein Vater ein Gewehr hätte, würde ich 
euch am liebsten 'abschüsse'», sei bei diesem Telefongespräch nicht 
die Rede gewesen. Schulleiter Hanselmann habe jedoch mitgeteilt, der 
Satz sei dem 14-jährigen bloss herausgerutscht und man habe mit dem 
Schüler bereits das Gespräch gesucht. Den Schulleiter habe er im 
Artikel mit den wichtigsten Aussagen zitiert. Auch die Stadtpolizei 
habe den Vorfall so bestätigt, wie ihn sein Informant geschildert 
habe. Laut dem Mediensprecher seien Vertreter der Stadtpolizei beim 
Gespräch mit dem Schüler anwesend gewesen.
D. Am 20. Juni 2009 teilte der Presserat den Parteien mit, die 
Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem
Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther 
Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 
14. Oktober 2009 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es nicht 
zu seinen Aufgaben gehört, ein Beweisverfahren über bestrittene 
Sachverhalte durchzuführen (vgl. z.B. die Stellungnahmen 34/2007, 
3/2008, 23/2009). Ebenso darauf, dass aus der «Erklärung» keine 
Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden kann, 
mithin auch einseitige, subjektive Schilderungen von Ereignissen 
zulässig sind (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahme 10/2009).
2. Soweit die Darstellung der Parteien zum genauen Wortlaut der 
durch den 14-jährigen Schüler ausgesprochenen Drohung und zum 
Wissensstand des Journalisten vor der Publikation des beanstandeten 
Berichts auseinandergehen, kann der Presserat auf der Grundlage der 
ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht feststellen, welche 
Sachverhaltsdarstellung der «Wahrheit» entspricht.
3. Ungeachtet der tatsächlichen Tragweite des Vorfalls lag es 
jedenfalls im Ermessen der Redaktion von «20 Minuten», darüber zu 
berichten und den Sachverhalt zu bewerten. Zwischen den Parteien ist 
unbestritten, dass ein Schüler eine Drohung ausstiess, welche die 
Schulleitung des Oberstufenzentrums Zil zum Handeln veranlasste und 
dazu bewog, die Polizei beizuziehen. Ausgehend von diesem Sachverhalt
erscheint jedenfalls die Bildlegende «Oberstufenzentrum Zil in St. 
Gallen: Hier kam es zur Drohung» den Tatsachen zu entsprechen. 
Zuzugestehen ist dem Beschwerdeführer hingegen, dass der Titel 
«Amok-Drohung an Schule» auf den ersten Blick Assoziationen zu 
Amokläufen an Schulen weckt, die sich in jüngster Zeit ereignet 
haben. Bei näherer Betrachtung bewegt sich die dem Titel zugrunde 
liegende kommentierende Wertung jedoch im Rahmen der 
Kommentarfreiheit, bezieht sich der Titel doch nur auf die Drohung 
und nicht deren mögliche Umsetzung. Die Ausführungen im Artikel - 
insbesondere aus der zitierten Aussage von Schulleiter Hanselmann, 
der Satz sei dem 14-Jährigen nur herausgerutscht - relativieren den 
dramatisierenden, zuspitzenden Titel zudem genügend deutlich. Der 
Leserschaft wird dadurch klar gemacht, dass die Drohung offenbar 
nicht allzu ernst gemeint war. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht 
ist unter diesen Umständen nicht erstellt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten» hat mit der Veröffentlichung des Artikels 
«Amok-Drohung an Schule» in der Ausgabe vom 5. Mai 2009 die Ziffer 1 
der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und 
Journalisten» (Wahrheitspflicht) nicht verletzt.

Kontakt:

SCHWEIZER PRESSERAT
CONSEIL SUISSE DE LA PRESSE
CONSIGLIO SVIZZERO DELLA STAMPA
Sekretariat/Secrétariat:
Martin Künzi, Dr. iur., Fürsprecher
Bahnhofstrasse 5
Postfach/Case 201
3800 Interlaken
Telefon/Téléphone: 033 823 12 62
Fax: 033 823 11 18
E-Mail: info@presserat.ch
Website: http://www.presserat.ch

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