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Rationale Gelassenheit, Marktkommentar von Stefan Schaaf

Frankfurt (ots)

Stell Dir vor es ist Krieg - und keiner schaut hin. Es scheint dieser Tage fast so, als ob sich die Finanzmärkte in abgewandelter Form das alte Motto der Friedensbewegung "Stell Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin" zu eigen gemacht hätten. Dabei ist es weniger Ignoranz oder Zynismus als vielmehr angesichts der Geldpolitik rationale Gelassenheit, die bislang die Reaktionen auf die Krisenherde von der Ukraine bis nach Gaza bestimmt. Dennoch ist die Entspanntheit, die sich in anhaltend niedrigen Volatilitäten zeigt, erstaunlich.

Denn typischerweise reagieren die Finanzmärkte sehr sensibel auf geopolitische Gefahren, gerade wenn die Versorgung mit Rohöl als wichtigstem Schmierstoff der Weltwirtschaft in Gefahr geraten könnte. Mit Russland und dem Nahen Osten konzentrieren sich die Krisen derzeit auf zwei rohstoffreiche und für die Industrieländer daher wichtige Regionen. Seit dem vermutlichen Abschuss eines malaysischen Zivilflugzeuges über dem Osten der Ukraine hat sich der Ton zwischen dem Westen und Russland deutlich verschärft. In der Ukraine sind die Auseinandersetzungen längst eskaliert. Ein Krieg in Europa: Das Kampfgebiet umfasst die Stadt Donezk, wo vor zwei Jahren Spiele der Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wurden.

Aus europäischer Sicht weiter weg ist zwar der Nahe Osten, doch Unruhen und Konflikte dort haben in der Vergangenheit häufig die Risikoaversion der Anleger deutlich steigen lassen. Doch weder der Gaza-Krieg noch die fortgesetzten Angriffe der palästinensisch-islamistischen Hamas auf israelische Städte sorgen für Unruhe. Dabei braut sich mit den militärischen Erfolgen der Isis-Milizen und der Ausrufung eines Kalifats sogar noch weiteres Risikopotenzial zusammen. Und die latenten Spannungen im Südchinesischen Meer, wo es eben auch um Öl und andere Rohstoffe geht, sind vollkommen aus dem Blickfeld verschwunden.

Die Coolness der Marktteilnehmer zeigt sich an den anhaltend niedrigen Volatilitäten an vielen Märkten. Der von der Deutschen Bank berechnete Devisenvolatilitätsindex CVIX liegt mit rund 5,3 Punkten noch immer in der Nähe seines Rekordtiefs. Und für die Aktienvolatilitätsindizes VDax-New für den deutschen Aktienmarkt und sein US-Pendant VIX ist das Bild ganz ähnlich. Auch die klassischen Risiko-Indikatoren zeigen keine Angst der Marktteilnehmer. Es gab zuletzt weder eine deutliche Flucht in die als klassische sichere Häfen geltenden Staatsanleihen Deutschlands und der USA noch währungsseitig in den Yen oder das Gold. Dass die zehnjährige Bundesanleihe knapp über ihrem Rekordtief vom Höhepunkt der Staatsschuldenkrise im Sommer 2012 liegt, hat mehr mit den Zinserwartungen für die Eurozone als mit Geopolitik zu tun. Der Preis für Rohöl ist zuletzt sogar gefallen. Die für Europa maßgebliche Sorte Brent ist mit Preisen von gut 105 Dollar pro Fass sogar rund 9 Prozent billiger als noch vor gut einem Monat.

Woher rührt die Gelassenheit? Ein Hauptgrund dürfte die anhaltende Geldschwemme der Notenbanken sein. Märkte lieben Liquidität. Sie macht es einfach, Risiken einzugehen, weil die extrem niedrigen Refinanzierungs- und damit auch Opportunitätskosten das Verhältnis von Chancen und Risiken zugunsten der Chancen verzerren. Dies zeigt sich derzeit auch an den Reaktionen auf die geopolitischen Krisenherde Ukraine und Nahost. Hohe Liquidität führt dazu, dass die Risiken, die für die Weltwirtschaft bestehen, niedriger bewertet werden, als dies in einem normalen Zinsumfeld der Fall wäre. Deshalb bleiben die Reaktionen auch lokal begrenzt: Es gibt zwar eine Flucht aus dem Rubel, der die Notenbank in Moskau am Freitag mit einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte auf 8 Prozent entgegentrat. Doch eine Flucht aus den Schwellenländer-Währungen ist nicht zu sehen. Anleger schichten offenbar vom Rubel einfach in die türkische Lira und andere hochverzinste Währungen um.

Die Frage ist jedoch: Wann kippt die Stimmung? Immer mehr Experten sehen eine Bodenbildung bei der Volatilität. Dies heißt, es kann nur aufwärts gehen, wohl auch mit der Risikoaversion. Über den Auslöser hierfür lässt sich viel spekulieren, aber ein noch immer unterschätztes Risiko ist das einer Zinserhöhung in den USA zu einem früheren Zeitpunkt als vom Marktkonsens erwartet. Dies wird immer mehr Investoren bewusst, was möglicherweise ihr Desinteresse an Geopolitik erklärt. Sicher ist jedoch: Das Ende der niedrigen Volatilität wird ohne Ansage und ruckartig kommen. Manchen Anleger könnte seine momentane Gelassenheit dann teuer zu stehen kommen.

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