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Valium aus Amerika, Börsenkommentar "Marktplatz", von Grit Beecken.

Frankfurt (ots)

Ben Bernanke hat die Renditen von Staatsanleihen wieder deutlich eingedampft. Weil der Chef der US-Notenbank Federal Reserve unerwartet darauf verzichtet hat, seine monatlichen Anleihenkäufe bereits im September zu drosseln, und die Märkte dadurch Monat für Monat weiterhin 85 Mrd. Dollar erhalten, haben Bundesanleihen, Treasuries und Co. die jüngst markierten Rendite-Hochs wieder verlassen.

Das kommt dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) vermutlich sehr gelegen, hatten Marktteilnehmer Mario Draghis Beteuerung, die Zinsen würden auf absehbare Zeit niedrig bleiben, doch nicht allzu ernst genommen. "Die EZB steuert den Markt momentan stark verbal und weniger über konkrete Maßnahmen", sagt Martin Hochstein, Senior Analyst bei Allianz Global Investors (AGI). Das dürfte sich seiner Ansicht nach auch auf der Sitzung der Währungshüter am kommenden Mittwoch nicht ändern - dieser Meinung sind übrigens auch die meisten anderen Marktbeobachter.

Für den Zustand Europas wären weitere geldpolitische Lockerungen möglicherweise aber auch gar nicht so entscheidend. Die Konjunktur erholt sich langsam, die Banken führen sukzessive Überschussliquidität an die EZB zurück, in der Realwirtschaft kommen die Geldspritzen aber nicht an. "Die Kreditvergabe stockt, weil den Banken das Eigenkapital für hohe Risikoaktiva fehlt. Dagegen hilft auch kein Drehen an der Zinsschraube", sagt Stefan Kreuzkamp, Co-Head of Fixed Income bei der DWS.

Ähnlich ist es bei Staatspapieren: "Bundesanleihen werden derzeit stark durch US-Treasuries getrieben", sagt AGI-Experte Hochstein. Daran können auch niedrige Leitzinsen in Europa nichts ändern, wie in den vergangenen Wochen gut zu beobachten war: Als die Renditen zehnjähriger US-Papiere über die Marke von 3% kletterten, legte der Satz der zehnjährigen Bundesanleihen auf mehr als 2% zu. Nachdem Bernanke in der vergangenen Woche nun eine Art "Valium-Tablette" an die Märkte verteilt hat, indem er an der ultralockeren Geldpolitik festhielt, nahm er diesen Druck aus dem Markt.

In der neuen Woche konzentrieren sich die Marktteilnehmer neben der EZB-Sitzung (bei der ja doch noch weitere Geldspritzen in Form eines neuen Langfristtenders angekündigt werden könnten, was viele Anlageklassen unterstützen dürfte) auf neue Konjunkturdaten. Schließlich geht es nicht nur in den USA aufwärts, auch in Europa hellt sich die Lage auf. Das spricht mittel- bis längerfristig für steigende Zinsen in Zentrum des Währungsraums. "Nach einer temporären Ruhephase werden die Renditen der Bundesanleihen wohl wieder anziehen", heißt es bei AGI. "Wir gehen in der Peripherie zwar oft zwei Schritte vor und einen zurück, aber die Richtung stimmt." Die DWS erwartet bei zehnjährigen Bundesanleihen auf Sicht eines Jahres eine Rendite bis zu 2,3%, bei zehnjährigen Treasuries bis zu 3,5%. Gleichzeitig dürften die Risikoaufschläge in der Peripherie mittelfristig weiter fallen.

Doch bis dahin stehen noch die Lösungen des US-Haushaltsstreits und der italienischen Regierungskrise an, weitere Themen, die Marktteilnehmer in der neuen Woche beschäftigen werden. "Wir schauen in der neuen Woche besonders auf Italien, bleiben aber bei unserem Exposure. Zwar besteht das Risiko einer neuen Regierung, das kommt in Italien aber relativ oft vor", sagt DWS-Zinsexperte Kreuzkamp. Und der Renditeaufschlag italienischer Anleihen gegenüber Bundespapieren sei nach wie vor attraktiv. Am Freitag rentierten italienische Zehnjahrespapiere bei 4,40%, die deutschen Pendants bei 1,79%.

Zehnjährige Treasuries lagen bei 2,63%. Und das, obwohl am 17. Oktober der Sturz über die Fiskalklippe droht. Doch da das mittlerweile regelmäßig der Fall ist und die US-Politiker sich bislang jedes Mal in letzter Minute einigen konnten, zeigen sich die Marktteilnehmer entspannt, die Renditen reagieren kaum - was allerdings zu einem guten Teil ebenfalls Bernankes Valiumration geschuldet sein dürfte.

(Börsen-Zeitung, 28.9.2013)

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